Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
hielt den Telefonhörer so fest umklammert, daß ihre Hände zu schmerzen begannen.
Warum geht sie nicht hin? Vielleicht liegt sie im Garten und braucht länger. Verdammt, geh doch hin!
»Leg den Hörer auf«, sagte Evelin. Sie stand wie aus dem Boden gewachsen in der Küchentür, das Messer noch immer in der Hand. Um den Mund herum war sie mit irgendeinem undefinierbaren Zeug verschmiert, das säuerlich roch. Offenbar hatte sie ihrer Lieblingsbeschäftigung gefrönt und sich wahllos mit Lebensmitteln aus dem Kühlschrank vollgestopft. Ungeachtet der Tatsache, daß die Sachen dort seit Wochen standen, weit über das Verfallsdatum hinaus und völlig vergammelt. Jessica mußte einen jähen Anflug von Brechreiz unterdrücken.
»Evelin«, sagte sie mühsam, »ich denke, jemand sollte kommen und uns abholen.«
»Leg sofort den Hörer auf«, wiederholte Evelin scharf. Jessica kam ihrer Aufforderung nach. Es läutete noch immer bei Mrs. Collins. Sie war wohl nicht daheim.
»Jetzt knie nieder«, befahl Evelin. Sie sah grotesk aus mit ihrem verschmierten Gesicht, dem Jeanshemd, über dessen Brust Milch gekleckert war, und dem Anglermesser in der Hand. Wie die Hauptdarstellerin eines Horrorfilms in einer irren Szene.
Jessica wollte zur Tür, aber Evelin sprang ihr mit einer erstaunlich behenden Bewegung in den Weg.
»Diesmal bezahlst du«, sagte sie.
Jessica kehrte um und rannte in den hinteren Teil der Halle, stieß die Kellertür auf. Sie wollte jetzt um jeden Preis aus dem Haus, und sie wußte, daß es im Keller einen Ausgang gab. Zu spät fiel ihr ein, daß sie es auch über die Terrasse hätte versuchen können. Sie zog die Tür hinter sich zu, tastete nach dem Lichtschalter. Die nackte Glühbirne an der weiß gekalkten Decke flammte auf. Jessica hörte, daß hinter ihr die Tür verriegelt wurde. Evelin schien nicht vorzuhaben, ihr zu folgen.
Sie will mich entweder hier unten aushungern, dachte Jessica, oder am Ausgang warten. Wenn ihr im Moment überhaupt klar ist, daß es einen Ausgang gibt.
Sie blieb stehen und überlegte. Ihre Lage hatte sich deutlich verschlechtert. Sie saß abermals fest, aber diesmal konnte ihre Gegnerin jederzeit zu ihr gelangen. Sie konnte hier unten nicht lange aushalten, weil sie um keinen Preis einschlafen durfte, und wie sollte sie das über Tage hinweg schaffen? Ihr blieb nur noch, alles auf eine Karte zu setzen und zu versuchen, in den Garten zu gelangen. Vielleicht ging Evelin davon aus, daß sie festsaß. Vielleicht war sie in die Küche zurückgekehrt und fuhr fort, alles aufzuessen, was sie dort fand.
Jessica lief die steinerne Treppe hinunter. Wenigstens konnte sie sich frei bewegen, Evelin vermochte von draußen ganz sicher keinen ihrer Schritte zu hören. Sie schob sich zwischen dem jahrzehntealten Gerümpel hindurch, das sich in dem völlig chaotischen Keller angesammelt hatte. Sie fand einen alten Hockeyschläger und nahm ihn an sich, vielleicht konnte er ihr als Waffe dienen. Spinnweben streiften ihr Gesicht, sie mußte husten, weil sie soviel Staub aufwirbelte. Einmal stolperte sie über eine leere Weinkiste, hielt sich an einem ausgedienten Kleiderständer fest und riß ihn dabei zu Boden. Es krachte laut.
»Scheiße«, fluchte sie. Wenn Evelin mitbekam, daß sie sich
in dem Keller bewegte, fiel ihr am Ende die Tür nach draußen ein.
Sie wartete eine ganze Weile, um kein weiteres verdächtiges Geräusch zu verursachen, dann erst schob sie sich wieder langsam vorwärts. Der Keller war groß und verwinkelt. Jessica war selten hier unten gewesen. Das einzige, was die Freunde regelmäßig von hier unten geholt hatten, war der Wein gewesen, und meist hatte den einer der Männer ausgesucht und hochgebracht. So kannte sie sich kaum aus und verlor Zeit damit, in jeden Raum und Gang spähen zu müssen, um die ersehnte Tür zu finden.
Sie entdeckte sie in einem Raum, der wohl als Waschküche gedient hatte, ehe Waschmaschine und Trockner in der Küche etabliert worden waren. Fußboden und Wände waren gefliest, es gab einen Wasseranschluß, und von der einen Wand zur anderen spannte sich eine Wäscheleine, an der eine einsame, vergessene Wäscheklammer schaukelte.
Vor allem aber war da die Stahltür, und jetzt zögerte Jessica nicht mehr. Jede Sekunde des Zauderns gebar neue Angst in ihr. Sie packte den Hockeyschläger fester, ging zur Tür, kämpfte ein paar Momente mit dem ziemlich verrosteten Riegel, konnte ihn aber schließlich zur Seite schieben. Sie stieß die Tür
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