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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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überhaupt erst zu bemerken, blickte auf und sagte: »Was treibt ihr zwei denn da?«
    »Er hat behauptet, er hat ein seltsames Geräusch gehört«, gab Harruel zur Antwort, »Wie jemand, der vor Schmerz aufschreit, sagt er, zwei- oder dreimal wiederholt.«
    »Und deswegen wollt ihr miteinander kämpfen?«
    »Er hat mich einen Kneifarsch genannt«, sagte Staip. »Außerdem gab es da noch weitere Beleidigungen.«
    »Also schön, Staip«, sagte Harruel. »Dann komm! Wenn du Prügel haben willst, ich geb sie dir gern, und reichlich. Komm also, damit wir es hinter uns bringen.«
    »Narren«, sagte Lakkamai leise vor sich hin und schob die Arme in die Schlaufen der Fünf Götter.
    Wieder rückte Staip auf Harruel zu. Dann aber hielt er verlegen inne, als wundere er sich, wieso er etwas so Törichtes beginnen könne. Die kühle Verachtung Lakkamais hatte seinen ganzen Zorn aus seiner entbrannten Seele entweichen lassen wie Luft aus einer löchrigen Blase. Auch Harruel blickte verdutzt drein, und dann gafften sie einander unsicher und verwirrt an. Dann machte Harruel kehrt und befaßte sich wieder mit seinen Übungen, als sei gar nichts gewesen. Staip gaffte hinter ihm drein und überlegte, ob er nicht trotzdem auf der Herausforderung zum Kampf beharren solle, doch irgendwie war der Drang dazu von ihm gewichen. Schleppend begab er sich wieder an seine Übungen. Von der gegenüberliegenden Seite der Kammer hörte man das schwere Schnaufen Konyas, der sich erneut am Webstuhl abarbeitete.
    Lange Zeit führten die vier Männer ihre Übungen durch, und keiner sagte ein einziges Wort. Staip verspürte noch immer ein dumpfes zorniges Pochen hinter der Stirn. Er war nicht sicher – hatte er nun bei der Auseinandersetzung mit Harruel gewonnen oder verloren, auf jeden Fall jedoch war ihm dabei keine Spur eines Triumphgefühls zuteil geworden. Um seinem Herzen Luft zu verschaffen, stürzte er sich mit verdreifachter wilder Wut auf seine Trainingsmaschinen. Sein ganzes Leben lang hatte er mit diesen Maschinen gearbeitet, seinen Körper gestählt und die Muskeln geschmeidigt, denn das war die Pflicht eines Kriegers, stark zu sein, wie friedlich immer das Leben im Kokon auch dahingehen mochte (und friedlich war es ja immer gewesen). Es würde eine Zeit kommen, so ging die Rede, in der das Volk den Kokon verlassen und in die Draußenwelt würde ziehen müssen, und wenn es an dem war, dann mußten die Krieger stark und trainiert sein.
    Nach sehr langer Zeit sagte Lakkamai, als Antwort auf eine von keinem gestellte Frage: »Was Staip da gehört hat, das war der Träumeträumer. Er wacht auf, hab ich mir sagen lassen.«
    »Was?« schrie Konya.
    »Siehst du?« sagte Staip, »Siehst du?«
    Und Harruel hüpfte von seiner Yissou-Leiter, stürzte eilends herbei und verlangte, Genaueres zu hören. Lakkamai aber zuckte nur die Achseln und fuhr dann in seiner Arbeit fort.
    Den ganzen Tag lang stand Koshmar neben der Wiege des Träumeträumers und beobachtete, wie seine Augäpfel unter den blaßrosa Lidern rollten. Wie lang schon, überlegte sie, hat er da so geschlafen? Hundert Jahre? Tausend? Die Stammeslegende besagte, daß er am ersten Tag des Langen Winters, der über die Welt kam, die Augen geschlossen hatte und daß er sie erst wieder auftun werde, wenn der Winter endete; und es war geweissagt worden, der Winter werde siebenhundertmal-tausend Jahre dauern.
    Siebenmal hunderttausend Jahre! Aber hatte der Träumeträumer dann wirklich so lange geschlafen?
    So wurde behauptet. Und es mochte ja auch so sein. Vielleicht.
    Und in all der Zeit seines Schlafes hatte seine träumende Seele die Himmel durchstreift und ausgespäht nach den flammenden Todesgestirnen, die auf die Erde zureisten und Ströme von Licht hinter sich dreinschleppten, und sie auf allen ihren weiten Wanderungen beobachtet; und er würde weiter schlummern und schlafen und Träume träumen, so lautete die Legende, bis der letzte der schrecklichen Sterne herabgestürzt war aus dem Himmel, bis die Welt wieder warm geworden und das Volk der Menschen sich fröhlich gefahrlos wieder hervorwagen durfte aus seinem Versteck in den Kokons. Und nun hatte der Träumer seine Lider geöffnet, wenn auch nur kurz, und er hatte angesetzt und etwas gesagt, oder doch immerhin versucht, etwas zu sagen. Also – was sonst sollte die ganze Sache sein, wenn nicht die Ankündigung, daß das Winterende sich nahte! Ohne Zweifel, dieses erstickte gurgelnde Gebrüll verkündete den Anbruch der Neuen Zeit.

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