Am Ende des Winters
sagte Torlyri.
Koshmar schüttelte den Kopf. Harruel hatte recht. Es war überhaupt kein Leben mehr in Ryyig. Sie kam mit ihrem Gesicht dem seinen ganz nahe. Sie berührte seine Wangen, den Arm, seine Hand. Tot. Ja, er war tot. Kalt, schlaff und tot. Ganz gewiß bedeutete dies das Ende einer Zeit und den Beginn einer neuen. Koshmar ließ die zarte schlaffe Gestalt in die Wiege zurückgleiten. Dann wendete sie sich triumphierend ihrem Volk zu. Ihre Brust vibrierte vor Begeisterung. Der Augenblick war gekommen. Ja – und er war gekommen, während Koshmar Stammesoberhaupt war, wie sie das so oft betend erfleht hatte.
»Ihr habt ihn gehört!« verkündete sie. » Was wartet ihr? hat er verkündet. Der Winter ist vorbei! hat er gesagt. Wir werden unseren Kokon verlassen. Wir werden von dem Berg hier fortgehen: sollen ihn doch diese stinkenden Eisfresser haben, wenn sie ihn haben wollen. Kommt, macht euch auf, wir sollten damit beginnen, unseren Besitz zusammenzutragen! Wir müssen uns auf die Wanderung vorbereiten! Der Tag ist gekommen, an dem wir hinausziehen!«
Torlyri sprach in ihrer gewohnten sanften Art: »Koshmar, ich habe ihn nichts weiter sagen hören als ‚der Winter’… nichts sonst.«
Koshmar starrte sie verblüfft an. Nun war sie endgültig sicher, daß sie sich in einer Zeit der großen Veränderung befanden, denn bereits zum zweitenmal an einem einzigen Tag hatte die sanftmütige Torlyri sich bewußt und deutlich dem Willen ihrer Tvinnr-Partnerin widersetzt. Da sie Torlyri innig liebte, unterdrückte sie ihren aufflammenden Zorn und sagte: »Dann hast du fehlgehört. Seine Stimme war sehr schwach, aber für mich gibt es keinen Zweifel an seinen Worten. Was sagst du dazu, Thaggoran? Ist nicht die Zeit zum Aufbruch gekommen? Und du, was sagst du? Und du?«
Streng blickte sie in der Kammer umher. Keiner wagte es, ihren Augen standzuhalten.
»Also seid ihr einverstanden«, sagte sie. »Der Winter ist vorbei. Es werden keine Sterne mehr niederstürzen. Also kommt! Die Zeit der Dunkelheit ist vorbei, und nun werden wir Menschen – dank der Huld Yissous und Dawinnos – unsere Welt wieder voll in Besitz nehmen.«
Sie peitschte ihr pralles kräftiges Sensororgan weit und autoritätspochend her und hin. Die heftige Bewegung forderte sie alle heraus, ihr zu widersprechen.
Keiner wagte es. Koshmar sah, daß der Junge, dieser Hresh, sie mit Augen voller höchster Erregung starr anfunkelte. Schön, also war es entschieden. Dies war der Tag. Über das praktische Verfahren würde sie sich noch mit Thaggoran besprechen müssen; denn das – soviel war ihr klar – würde kompliziert sein und ziemlich viel Zeit beanspruchen. Doch die Vorbereitungen auf die Auswanderung, der komplizierte Ablauf ritueller Handlungen und Zeremonien und das ganze restliche Brimborium sollten so bald wie möglich beginnen. Und danach – danach würde das Volk aus Koshmars Kokon sich aufmachen, um die Welt zu erobern.
Aus der Nische, in der die Schimmersteine aufbewahrt wurden, nahm Thaggoran die fünf ältesten, die als Vingir, Nilmir, Daralmir, Hrongnir und Thungvir bekannt waren, und legte sie als Pentagramm auf dem Altar aus. Das waren die heiligsten und die allerwirksamsten Steine im Besitz des Volkes. Er berührte einen nach dem anderen und baute so zwischen ihnen das magische Band auf, das die Weissagung ermöglichen würde. Die spiegelblanken schwarzen Flächen blitzten hell unter den Trauben der Glühbeeren, die die Wohnkammer erhellten, und es war ein hartes, scharfes Licht, obschon das von den Glühbeeren strömende eher mild und sanft war; es war, als werde durch die weiche Beleuchtung von außerhalb in den Schimmersteinen ein kaltes, aber heftiges Feuer entzündet.
Thaggoran hatte sich inzwischen damit abgefunden, daß er wahrscheinlich keinen neuen Schimmerstein zu dem gesammelten Schatz werde beitragen können, trotz seines dreimaligen Traums, daß es ihm beschieden sei, einen zu finden. Aber er hatte dort drunten in dem Höhlengängegewirr nur die Eisfresser ausfindig gemacht – keinen neuen Schimmerstein. Und nun blieb ihm keine Zeit mehr, seine Suche fortzusetzen.
Jedoch, die Träume waren nicht immer deutlich in dem, was sie vorhersagten. Immerhin, ihm war ein Vorzeichen einer großen Entdeckung zuteil geworden… und – hatte er nicht eine große Entdeckung gemacht?
Er berührte Vingir und Dralmir und Thungvir, und er spürte die Kraftströme der schimmernden schwarzen Steine. Er berührte Nilmir. Er
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