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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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1
    Er begegnete ihr nun zum dritten Mal vor der Haustür des Doktors, wieder an einem Montag und wieder zur selben Uhrzeit. Er war sich sicher, sie schon einmal gesehen zu haben, aber er hätte nicht sagen können, wo oder wann.
    Vielleicht war sie auch eine Patientin, die für vier Uhr bestellt war, sagte er sich, während er die Treppe zur Praxis hinaufstieg.
    Die Klingel schellte, kurz darauf ging die Tür auf, und der Doktor ließ ihn ein. Wie immer durchquerten sie den Flur mit den vollen Bücherregalen schweigend, betraten das Sprechzimmer und setzten sich. Roberto vor den Schreibtisch, der andere dahinter.
    »Und, wie geht es Ihnen heute? Letztes Mal hatten Sie schlechte Laune.«
    »Heute geht es besser. Ich weiß nicht, warum, aber als ich die Treppe heraufkam, kam mir eine alte Geschichte aus meinen frühen Jahren als Carabiniere in den Sinn.«
    »Und zwar?«
    »Nach der Polizeiakademie wurde ich als Unteroffizier im Bahnhof einer kleinen Stadt in der Nähe von Mailand eingesetzt.«
    »War das üblich für einen ersten Einsatz?«
    »Ja, absolut. In dem Städtchen war es sehr ruhig. Fast schon zu ruhig, es passierte rein gar nichts. Der Bahnhofsvorsteher – ein älterer Polizeihauptmeister – war ein friedliebender Mensch, der immer versuchte, die Dinge gütlich zu lösen. Ich glaube, dass er nicht einmal Spaß daran hatte, Leute festzunehmen, was auch nur sehr selten vorkam. Ein paar kleine Diebe, höchstens mal ein harmloser Dealer.«
    »Machte es Ihnen denn Spaß?«
    »Wie bitte?«
    »Machte es Ihnen Spaß, jemanden festzunehmen?«
    Roberto zögerte einen Augenblick.
    »So ausgedrückt, klingt es tatsächlich nicht schön. Aber es ist wahr. Der echte Bulle – das sind nicht alle Carabinieri, und auch nicht alle Polizisten – lebt für den Moment der Festnahme. Was den Beruf angeht, meine ich. Wer seinen Beruf liebt, will auch ein Resultat sehen. Und das Resultat unserer Arbeit, da braucht man sich nichts vorzumachen, ist es nun einmal, jemanden hinter Gitter zu bringen.«
    Roberto dachte nach über das, was er gerade gesagt hatte. Es war zwar selbstverständlich, aber so ausformuliert und laut ausgesprochen, bekam es eine neue, unangenehme Bedeutung. Er schüttelte den Kopf und versuchte, den Faden seiner Geschichte wieder aufzunehmen.
    »Eines Tages sitze ich gerade beim Friseur, als ich Geschrei von der Straße höre. Gleich danach rennt eine Frau vorbei und zieht ein Kind hinter sich her. Ich stehe auf und reiße mir das Handtuch herunter, während der Friseur mich ermahnt, keinen Dummheiten zu machen. Ich denke, da sind wir hier in Norditalien, und der Mann sagt so etwas zu mir. Das passiert doch nur im Süden. Dann sage ich ihm, dass ich ein Carabiniere bin, was er längst weiß, laufe aus dem Laden und der Frau nach.«
    »Was war passiert?«
    »Ein paar hundert Meter weiter wurde gerade eine Bank ausgeraubt.«
    »Ach so.«
    »Ich sehe alles noch ganz genau vor mir. Ich zog meine Pistole heraus, lud sie, sicherte sie und lief los. Als ich an der Straßenecke ankam, direkt vor dem Eingang zur Bank, sah ich einen Volvo mit laufendem Motor, aber ohne Insassen.«
    »Stand er vor der Bank?«
    »Nein, um die Ecke. Ein paar Dutzend Meter vom Eingang entfernt, aber in der Querstraße. Die Bank war in der Hauptstraße. Ich schob mich ins Auto, machte den Motor aus und zog den Schlüssel ab.«
    »Aber warum hatten sie das Auto unbeaufsichtigt gelassen?«
    »Die beiden Bankräuber brauchten länger als gedacht, und der Fahrer war ausgestiegen, um sie zur Eile anzutreiben. Das fanden wir natürlich erst später heraus. Ich war gerade um die Ecke gebogen, als ich sie aus der Bank kommen sah. Ich versuchte mich zu erinnern, was wir auf der Polizeischule über das Verhalten in solchen Situationen gelernt hatten.«
    »Was hatten sie Ihnen beigebracht?«
    »Keinen Unsinn zu machen. Bei Überfällen sollten wir Verstärkung holen und die Situation beobachten, statt im Alleingang zu handeln.«
    »Dann hat der Friseur das Richtige gesagt.«
    »Stimmt.«
    »Und?«
    »In jenem Moment fielen mir diese Instruktionen nicht ein.«
    »Die Bankräuber waren natürlich bewaffnet?«
    »Zwei Pistolen. Als ich sie kommen sah, warnte ich sie im Namen der Polizei. Wie das ging, wusste ich noch, denn ich hatte es immer wieder allein geübt, in Erwartung meiner ersten Gelegenheit, den Warnruf anzuwenden.«
    Roberto dachte, dass er diese Geschichte fast noch nie erzählt hatte, und hatte den Eindruck, dass sich dahinter eine ganze

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