Am Ende des Winters
hält sich vor uns verborgen. Aber bei ihm ist die höchste Macht. Er besitzt die Schöpferkraft. Er kann etwas aus dem Nichts machen. Und er kann alles in jegliches andere umgestalten. Ja, es könnte sogar sein, daß er sich derartig widerwärtige und hirnlose Bestien nimmt wie diese Affen, die uns dermaßen quälen, und sie zu etwas verwandelt, das… das fast menschlich ist. Er kann alles, was er will, Torlyri. Er ist der Schöpfer! Ja, vielleicht hat er sogar die Erhabenen Fünf erschaffen!«
Sie starrte ihn entsetzt an.
Sie war keine hirnlose Frau, aber es gab für sie bestimmte Bereiche, in die sie lieber nicht fragend vordringen wollte. Niemand tat dies. Es gehörte sich einfach nicht, Spekulationen über die Natur und das Wesen der Götter anzustellen; man hatte einfach zu tun, was sie befahlen. Und so hatte sie es ihr Leben lang gehalten, getreulich und gut. Die Fünf herrschten über die Welt – ihr genügten die Fünf.
Und da war nun dieser Hresh und legte ihr Gedanken vor, die sie als zutiefst beunruhigend empfand. Ein Schöpfergott, sagte er. Nun, es war ja klar, daß alle Dinge einmal ihren Anfang genommen haben mußten, wenn sie jetzt schon wirklich einmal innehielt und darüber nachdachte, aber das mußte vor sehr, sehr langer Zeit gewesen sein, und in welcher Weise konnte es die jetzt und heute Lebenden beeinflussen? Es war einfach töricht, sich über derlei Gedanken zu machen. Die Vorstellung allerdings, daß da vielleicht einmal eine Zeit gewesen war, in der die Himmlischen Fünf selbst noch nicht waren, daß ein anderer sie ins Dasein gerufen haben könnte, das ließ Torlyri den Kopf schwindlig werden. Denn wenn die Fünf einen Erschaffer gehabt hatten, dann hatte ja möglicherweise auch dieser Erschaffer seinerseits wieder einen, der ihn erschaffen hatte, und dieser wieder war womöglich von einem noch höherrangigen Gott erschaffen worden… und… und… und…
Und das hörte nie auf. Ihr Kopf drehte sich.
Und dann noch diese Geschichte mit den zu Menschen werdenden Affen. Was sollte denn das für einen Sinn haben?
Ach, Hresh, Hresh, Hresh!
Ruhig, aber mit Festigkeit sagte sie: »Wir wollen unsere Gedanken jetzt auf das Tvinnr lenken, Hresh.«
»Wenn du so willst.«
»Nicht nur, weil ich es so will. Sondern weil wir aus diesem Grund hierher gekommen sind.«
»Also schön«, sagte er. »Dann tvinnern wir eben heute, Torlyri.«
Sie lächelte ihm zärtlich zu und legte ihm beide Hände in seine Hände. Plötzlich kam es ihr so vor, als sei sie der Neophyt und Hresh derjenige, der die Einweisung vornehmen sollte. Es verwirrte sie wie immer, wenn sie mit diesem Jungen zu tun hatte. Sie sagte sich vor, daß er ja wirklich nichts weiter sei als ein Knabe, ein Junge von nur dreizehn Jahren, und daß er ihr kaum bis zur Brust reichte, und daß der Grund ihres Hierseins seine erste Tvinnr-Erfahrung sei, nicht die ihre.
Also stiegen sie gemeinsam weiter abwärts, bis sie an der niederen Steingalerie und dem Spitzbogen anlangten, der in ihr kleines Tvinnr-Gemach führte. Aber während sie durch die schmale Tür traten, Torlyri mußte sich ein wenig bücken wegen der Höhe, nahm sie plötzlich eine Veränderung in Hreshs Körpergeruch wahr, und sie wußte, daß erneut eine kleine Veränderung der Situation sich ereignete. Kaum hatten sie den Ort betreten, hatte Hresh die Führung übernommen. Aber vielleicht – dachte sie – wird ihm jetzt doch allmählich bewußt, daß er wirklich jetzt zum erstenmal tvinnern soll. Das Ereignis nahm für ihn reale Wucht an. Und von daher rührte dieser Duft von Beklommenheit und Furcht, der von ihm ausströmte. Er mochte gut und gern Hresh-der-Chronist sein, Hresh-der-Weise, doch daneben war er halt auch nur der kleine Junge, und daran begann er sich nun wieder zu erinnern.
Das Tvinnr-Gemach war ein zwölfwandiger Raum, durch Maßwerk aus Blausteinrippen voneinander abgesetzt; diese Rippen stießen an der Decke zu einem komplexen Kreuzgewölbe zusammen, das halb in den Schatten verborgen war. Es war ein kleiner Raum, möglicherweise früher einmal eine Vorratskammer der Saphiräugigen; für den persönlichen Gebrauch von derartig voluminösen Personen, wie sie es waren, zweifellos viel zu winzig. Doch für Torlyris Zwecke genügte der Raum allemal. Sie hatte ein Lager aus übereinander gestapelten Pelzen hergerichtet, und in den Wänden gab es Nischen, in die sie gewisse heilige Gegenstände gesetzt hatte. Von Wandampeln schimmerte flackerndes grüngelbes
Weitere Kostenlose Bücher