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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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zuflüsterte. Auch Kalide wirkte unsicher und sagte ein, zwei Worte zu Minbain. Harruel schien irgendwo weit weg, in dumpfes Brüten versunken zu sein. Doch keiner erhob offen die Stimme gegen sie. Sie spürte, daß der Wendepunkt in dem Gefühl der Leute erreicht war.
    »Auf nach Vengiboneeza!« schrie Koshmar.
    »Auf nach Vengiboneeza!« kam das Echo von Torlyri. »Vengiboneeza!« schrillte auch Hresh.
    Ein Augenblick gespannter Unsicherheit. Die anderen schwiegen noch immer. Die Augen waren noch immer verdrossen. Koshmar sah die müden, bekümmerten, aufsässigen Leute. Einzig Torlyri und Hresh hatten sich für sie ausgesprochen; aber Torlyri war ihr Tvinnr-Partner; und Hresh, Hresh war ihre Kreatur, ihr Knecht. Wollte denn keiner sonst den Ruf aufgreifen?
    »Vengiboneeza!« Endlich. Eine helle kräftige Stimme. Orbin, dieser brave kräftige Junge. Und dann, ganz überraschend, auch Haniman, und dann ein paar von den älteren Leuten, Konya, Minbain, Striinin – und dann schließlich alle, alle, sogar Harruel, sogar widerwillig: Staip. Sie waren wieder ein geeinter Stamm und sprachen mit einer Stimme: »Vengiboneeza!«
    Dann zogen sie weiter. Aber wie lange wird es dauern, fragte sich Koshmar, bis ich sie wieder ganz von vorn auf meine Seite bringen muß?
     Je weiter sie zogen, desto höher wurden die Verluste. An einem Tag voll merkwürdig heißer, sprunghaft stürmischer Winde wurde der Jungmann Hignord von etwas Grünem-Gewundenem-Vielbeinigem, das aus einer im Boden versteckten Grube herausfuhr, davongetragen. Einige Tage später wurde das Mädchen Tramassilu, das ausgezogen war, um kleine gelbe baumbewohnende Kröten zu fangen, von einem riesenhaften wahnsinnigen Hüpfer mit einem langen roten Schnabel aufgespießt, der auf sie niedergefahren kam wie eine Lawine und dann schnatternd über ihrem Leichnam tanzte, bis Harruel ihn mit der Keule zerschmetterte.
    Dies waren bereits vier Gefallene von sechzig Personen bei Beginn des Auszugs. Die Bäuche der Brutpaare schwollen vom Ersatz für die Verlorengegangenen, doch eine Geburt brauchte viel Zeit, und der Tod kam rasch hier draußen. Koshmar quälte die Furcht angesichts ihres schrumpfenden Stammes; was, wenn die Zahl so gefährlich abnahm, wenn noch mehr Frauen zugrundegehen sollten. Zwei der Verluste bisher waren schon fruchtbare Frauen gewesen. Man brauchte nicht mehr als ein männliches Stammesmitglied, um einen ganzen Stamm zu schwängern, das wußte Koshmar sehr wohl; aber es waren die Frauen, welche die Kinder trugen und gebaren, und sie brauchten lange zum Austragen.
    Die schweren Wolken barsten, und es regnete zehn Tage und zehn Nächte lang, so daß alle vor Nässe troffen und stanken. Vorher hatten sie auf dem Treck keinen Regen gehabt. Aber der Anblick des vom Himmel fallenden Wassers verlor rasch seine Faszination. Regen hörte auf, etwas Neues zu sein und wurde zur quälenden Plage.
    »Vengiboneeza?« begannen sie zu sagen. »Wie lang dauert es denn noch bis Vengiboneeza?«
    Es gab solche, die beharrlich behaupteten, ein neuer Todesstern sei auf die Erde geschlagen, zu weit weg, als daß man den Aufprall hier hätte hören können, und daß der Regen nur der Beginn einer neuen Zeit der Finsternis und Kälte sei. »Nein!« beschied sie Koshmar heftig. »Der Regen ist nur etwas, das es eben in diesem Land hier gibt. Da, wo wir herkamen, war es trocken, nun, und hier ist es eben naß. Seht ihr denn nicht, wie dicht das Gras hier wächst, wie üppig das Laub ist?« Und wirklich, es war so. Also zogen sie weiter, gebückt und durchnäßt und rochen nach feuchtem Fell. Und nach einiger Zeit hörten die Regen wieder auf.
    Dann wurden die Tage allmählich kürzer. An jedem Tag seit dem Auszug aus dem Kokon war jeder Tag immer ein Stückchen länger gewesen als der vorherige; doch nun, man konnte es einfach nicht bezweifeln, sah man die Sonne an jedem Nachmittag ein wenig früher hinter den westlichen Horizont sinken.
    »Vengiboneeza…?« begann das Stammesvolk wieder zu brummen.
    Und Koshmar nickte und wies gen Westen.
    »Ich glaube, wir betreten ein Land der ewigen Nacht«, sagte Staip. Früher war er stets lustig gewesen, ein Mann, dem Zweifel und Schwarzseherei fremd waren. Nun war dies nicht mehr so. »Und ein dunkles Land, das wird ein kaltes Land sein«, sagte er.
    »Ja, und ein totes Land«, sagte Konya, der nicht mehr lachte und sang. Während der letzten paar Wochen war er zu seiner vorherigen natürlichen Reserviertheit zurückgekehrt, ja sie

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