Am Ende zählt nur das Leben
mir beim besten Willen nicht vorstellen.« Ich nahm seine Worte nicht ernst. Dieser nachlässig gekleidete Schuljunge war ohnehin nicht nach meinem Geschmack. Er wirkte deutlich in sich gekehrter als sein Freund Basti, der mir irgendwie besser gefiel, weil er ein lustiger und offener Typ war. Basti hatte immer einen Spruch auf den Lippen, mit ihm würde es sicher nie langweilig werden. Außerdem war er groß und athletisch gebaut, wenngleich seine Kleidung leider einen ähnlich vernachlässigten Eindruck wie Roberts machte. Er trug sogar den gleichen hässlichen Hut, den ich im Stillen Speckdeckel nannte. Warum nur tragen junge Männer derart geschmacklose Kopfbedeckungen?
Im Gegensatz zu seinem Freund war Robert den ganzen Tag wortlos um mich herumgeschlichen und hatte mir in regelmäßigen Abständen ein Lächeln zugeworfen. Und dann war aus heiterem Himmel seine Liebeserklärung gekommen, mit der ich nun wirklich nichts anfangen konnte.
»Darf ich mir denn überhaupt keine Hoffnung machen?«, fragte er.
»Nun hör schon auf, und dräng mich nicht so. Warten wir doch erst einmal ab«, sagte ich, um endlich meine Ruhe zu haben.
Sandra und ich genossen unseren Sylturlaub. Die Tage vergingen wie im Flug. Bald waren wir gebräunt, unsere Haare ausgeblichen, und vom vielen Lachen mit unseren Zeltnachbarn bekamen wir Muskelkater im Bauch. Jeden Morgen fanden wir frische Brötchen an unserem Zelt. Am dritten Tag zeigten wir Mitleid, als Robert und Basti eine ihrer Konservendosen öffneten, um zu Abend zu essen. Wir ließen uns erweichen und kochten für uns vier. Ohne es wirklich zu merken, verbrachten wir fast den gesamten Urlaub miteinander.
Ich versuchte Roberts Liebesgeständnis zu verdrängen. Wenn es nach mir ginge, sollten unsere beiden Urlaubsbekanntschaften nichts weiter als gute Kumpel bleiben. Als Sandra und ich wieder in meinem Fiat saßen, um die Heimfahrt anzutreten, ließen wir Songs von Nirvana aus der Anlage dröhnen. Es war die Lieblingsband meiner Freundin, und ausnahmsweise waren mir die Rhythmen weder zu heftig noch zu laut.
Wir kurvten ausgelassen durch Schleswig-Holstein, durchquerten den Elbtunnel und fuhren weiter in Richtung Süden. Hinter Soltau kannten wir jedes Dorf. Hier begann unsere Heimat. Ich stellte mir vor, dass auch Basti und Robert in einer Woche auf dieser Straße zurück nach Hause fahren würden. Es war wirklich merkwürdig, dass wir uns vorher nie begegnet waren.
Sandra und ich plauderten und lachten so ausgelassen über unsere Ferienerlebnisse, dass wir die richtige Autobahnabfahrt verpassten und beinahe in Hannover landeten. Als wir durch unseren kleinen Abstechereine Stunde später als erwartet bei meinen Eltern eintrafen, war ich bester Laune. Und als meine Mutter mich dann auch noch mit einer Postkarte aus Sylt begrüßte, die am selben Tag eingetroffen war, kam ich aus dem Dauergrinsen nicht mehr heraus. Die Karte zeigte eine Luftaufnahme der Dünenlandschaft mit dem Campingplatz.
Liebe Katja,
schade, dass ihr nicht mehr hier seid. Wir vermissen eure tolle Musik. Es ist langweilig ohne euch.
Eure Jungs
Dort, wo unser Zelt stand, hatte Robert ein Herzchen auf die Karte gemalt. Ich lachte laut auf.
»Von wem kommt denn der Urlaubsgruß?«, wollte meine Mutter wissen.
»Von zwei Jungs, die wir auf Sylt kennengelernt haben. Stell dir vor, sie kommen aus unserer Gegend. Der eine ist total lustig.«
Die Karte passte irgendwie zu Robert. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass er sie geschrieben hatte. Als ich die Zeilen noch einmal las, vermutete ich, dass es sein letztes Lebenszeichen an mich war. Bestimmt hatten Basti und er inzwischen neue Urlaubsbekanntschaften geschlossen und würden uns vergessen.
Doch da kannte ich sie schlecht. Die beiden brachen ihren Urlaub vorzeitig ab, und Basti rief mich zwei Tage später an, damit wir vier uns verabredeten. Und so trafen Sandra und ich sie schon bald im Kino und immer häufiger in Cafés.
Basti und ich verstanden uns prächtig. Wir konnten über alles reden, und nicht selten blockierten unsere Gespräche über Stunden hinweg das heimische Telefon. Immer häufiger lenkte Basti dabei das Gespräch auf Robert.
»Katja, du kannst mir glauben, Robert ist wirklich ein toller Typ. Er redet nur noch von dir. Und ihr passt perfekt zusammen. Den ganzen Tag hört er die Musik, die dir auf Sylt so gut gefiel. Er würde alles für dich tun. Wirklich, er meint es ernst. Ich kenne ihn. Gib ihm eine Chance.«
»Aber ich bin nicht
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