Am Ende zählt nur das Leben
erledigte er routiniert, führte ein nettes Gespräch mit der Kellnerin, erkundigte sich nach dem Wein und fragte mich zweimal, ob ich auch wirklich keine Vorspeise wolle. Cay wirkte konzentriert und vollkommen Herr der Lage. Das imponierte mir, denn ich selbst war noch immer verunsichert über dieses Treffen.
Die Zeit verging wie im Flug. Wir plauderten über Sport, unsere norddeutsche Heimat, seine Wahlheimat Stuttgart und den schwäbischen Dialekt, den er lustig imitieren konnte.
»Was ich dich noch fragen möchte, Cay«, entfuhr es mir. »Warum wird dein Name C-A-Y geschrieben und nicht K-A-I wie normalerweise? Steht es wirklich so in deinem Pass?«
»Ja, natürlich. Es ist mein Name. Ist doch viel interessanter als K-A-I . Meine Eltern wollten mir etwas Besonderes mitgeben, schon gleich nach der Geburt. Das ist ihnen gelungen. Und auch sonst bin ich ein ganz Toller«, sagte er mit einem schelmischen Grinsen, das mich sofort zum Lachen brachte. Dieser Mann war sicher nie um eine Antwort verlegen. Cay! Warum nicht?
Bald waren wir die letzten Gäste im Lokal.
»Katja, ich muss dir noch etwas sagen.«
Sein ernster Ton alarmierte mich. Jetzt kommt seine Kehrseite zum Vorschein, dachte ich plötzlich. Nun wird er mir erzählen, dass er verheiratet ist und Kinder hat. Irgendetwas musste doch faul sein.
»Du denkst, ich bin dreißig Jahre alt, also acht Jahre älter als du. Aber das stimmt nicht ganz. Es sind schon einige mehr.«
Verdutzt schaute ich ihn an. Wie alt mochte er sein? Lichtes Haar zeigte sich doch auch schon bei ganz jungen Männern.
»Es sind keine acht und auch keine zwölf Jahre, sondern sechzehn.«
Ich schluckte. Sechzehn Jahre? Das gefiel mir ganz und gar nicht. Damit war er deutlich älter als meine große Schwester, die mir als Kind immer wie eine Erwachsene vorgekommen war. Dabei war sie bloßzehn Jahre älter als ich. Sechzehn Jahre erschienen mir wie eine Ewigkeit.
»Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Am Telefon, meine ich.«
»Weil ich dachte, dass du mich dann vielleicht nicht treffen möchtest. Du bist noch so jung.«
»Begeistert bin ich wirklich nicht davon.«
»Aber es ist dir auch nicht aufgefallen.«
»Dass du um einiges älter bist, war doch klar. Aber du hast dich gut gehalten, das muss ich schon sagen.«
»Gute Pflege«, grinste er.
»Und wie macht man das?«
»Viel Sport, eine ausgewogene Ernährung, wenig Alkohol, frische Luft. Ich lebe gesund und halte mich fit.«
Im Stillen war ich froh, dass er mir bereits jetzt sein wahres Alter beichtete. Alles andere hätte ich nicht so einfach entschuldigen können. Bei genauerer Betrachtung entdeckte ich, dass ihm bereits deutlich die Haare ausgingen. Deshalb trug er sie wohl so extrem kurz.
Na ja, dachte ich, das geht auch einem André Agassi nicht anders, dabei ist der sogar fünf Jahre jünger als Cay.
Als die Kellnerin kam, übernahm er wie selbstverständlich die Rechnung und zog einige Scheine aus seiner Hosentasche.
Bevor ich mich beim Abschied in meinen Fiat setzte, küsste er mich vorsichtig auf den Mund, und ich ließ es geschehen. Auf dem Heimweg hämmerte mein Herz wie wild. Aufgewühlt und verwirrt fragte ich mich, was ein derart erfahrener und deutlich älterer Mann von einer unscheinbaren jungen Frau wie mir überhaupt wollte. Mit mir konnte man keinen Staat machen, ich war weder besonders attraktiv noch interessant, und dieser Cay hatte schon so viel gesehen und erlebt. Irgendwie konnte ich es nicht fassen. Was will der nur von mir?
Während der nächsten zwei Wochen telefonierten wir noch häufiger als sonst. Wegen unseres Altersunterschieds blieb ich innerlich jedoch auf Abstand und fragte mich, ob eine Beziehung zu einem reifen Mann wirklich das Richtige für mich war. Ich musste mir allerdings eingestehen, wie sehr sein Interesse mir schmeichelte. Sollte ich es auf einen Versuch ankommen lassen? Meine Gedanken drehten sich ständig um diese eine Frage.
Während ich keine Antwort darauf fand, schien Cay wie stets einen Plan parat zu haben, den er offen und gut gelaunt präsentierte.
Als er mich auf seine galante Art fragte, ob er mich für das kommende Wochenende zu sich nach Stuttgart einladen dürfe, kam meine Antwort prompt. Ja!
Neugierig, wie ich war, willigte ich sofort ein. Irgendetwas reizte mich an diesem Cay, wenn ich auch weit davon entfernt war, mich zu verlieben. Er war so anders als die Jungen, die ich bislang kennengelernt hatte.
Cay wohnte in einer Dachgeschosswohnung
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