Am Ende zählt nur das Leben
mühsam. Ina und unser Sportsfreund Matthias versuchten mich aufzuheitern, wenn ich den Kopf hängen ließ und an Robert dachte. Matthias machte sich eine Menge Gedanken über meine schlechte Stimmung.
»Du bist eine hübsche, sportliche Frau, wie kannst du da monatelang Trübsal blasen? Du solltest dich lieber amüsieren. Ich habe einen Freund, der würde gern mal mit dir ausgehen.«
»Ich will nichts mehr von Männern wissen«, erwiderte ich, denn ich hatte absolut keine Lust auf seine Schmeicheleien. Und hübsch fand ich mich nun wirklich nicht, eher im Gegenteil. Mich wunderte es jedes Mal, wenn mir ein Mann hinterherschaute. Ich war nichts Besonderes, ein durchschnittliches Mädchen vom Lande, nicht hässlich zwar, aber weit davon entfernt, als hübsch zu gelten.
»Mein Freund ist ein ganz Netter und Vernünftiger.«
»Die Sprüche kenne ich. Nein danke, kein Bedarf.«
»Triff dich doch einfach mal mit ihm. Ihr könnt zusammen ausgehen, ein wenig tanzen. Ganz unverbindlich. Er wohnt in Stuttgart, ist aber häufig hier bei seinen Eltern zu Besuch. Er stammt aus unserer Gegend.«
»Nein.«
»Er sieht gut aus«, sagte meine Freundin plötzlich.
»Kennst du ihn etwa?«, fragte ich Ina und runzelte die Stirn.
»Nein«, sagte sie, »aber Matthias hat ein Foto dabei. Wie Andre Agassi.«
»Ein Glatzkopf? Das wird ja immer besser. Ach, was frage ich überhaupt? Der Typ ist mir sowieso egal. Lasst mich in Ruhe damit.«
Doch es hörte nicht auf. Immer wieder fragten sie mich, ob ich Agassi, wie sie ihn scherzhaft nannten, nicht endlich kennenlernen wollte. Angeblich sei er auch ein guter Tänzer. Nach drei Wochen hatten sie mich schließlich überredet, und ich telefonierte mit dem Unbekannten. Er hieß Kai und amüsierte mich bereits beim ersten Gespräch.
Das Telefonieren tat mir gut. Kai schien schon einiges erlebt zu haben, er war viel gereist und gehörte glücklicherweise nicht zu den Schuljungen, die sich noch austoben müssen. Im Gegenteil, er war berufstätig, arbeitete in einem großen Unternehmen, wie er sich ausdrückte, und stand offenbar mitten im Leben. Am Telefon machte er wirklich einen guten Eindruck, und seine lustigen Sprüche brachten mich zum Lachen. Genau wie ich war er an Sport interessiert und nahm sogar an Wettkämpfen teil. Seit Jahren spielte er Golf und Tennis, fuhr im Winter Ski und war ein ambitionierter Läufer. Ich war beeindruckt.
Einen Monat lang telefonierten wir regelmäßig miteinander, und immer häufiger schickten wir uns SMS -Nachrichten. Dadurch erfuhr ich auch, dass sein Name anders geschrieben wurde, als ich anfangs dachte: Cay. Das fand ich mindestens genauso exotisch wie seine Formulierung am Ende jeder Nachricht: Der Cay.
Bald kam es mir so vor, als würde ich ihn schon länger kennen. Wir tauschten Fotos aus und fanden auch optisch Gefallen aneinander. Als er bei seinen Eltern zu Besuch im Norden war, verabredeten wir uns am Bahnhof miteinander. Ich war aufgeregt, denn es war mein Premierentreffen mit einem quasi Unbekannten. Ein ganz übler Kerl konnte er eigentlich nicht sein, sagte ich mir, schließlich war der nette Matthias sein Freund.
Cay fuhr mit einem Mini Cooper vor, stieg aus, begrüßte mich mit zwei Wangenküssen und lachte. Im ersten Moment war ich erschrocken. Es war kalt, und er trug zu seiner schwarzen Lederjacke eine schwarze Wollmütze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte, wodurch er einen finsteren Eindruck machte. Wir standen nebeneinander auf dem Parkplatz beim Bahnhofsgelände, und ich musste mir kurz zureden, dass wirklich alles in Ordnung sei und ich keine Bedenken haben müsse.
»So, da bin ich!«, sagte er. Zumindest seine Stimme klang vertraut. Ich lächelte und wusste nicht, wie ich reagieren sollte.
»Was wollen wir machen, Katja? Hast du einen Vorschlag?«
»Ich kenne ein Lokal in der Nähe, nur zehn Minuten mit dem Wagen. Wollen wir dorthin?«
»Gern, fährst du vor, und ich bleibe dran?«
»Gut.«
Als wir den Parkplatz erreichten, stand Cay in Windeseile vor meinem Auto und half mir mit einer galanten Geste beim Aussteigen. Ebenso routiniert hielt er mir die Tür zum Lokal auf und nahm mir den Mantel ab. Als er sich endlich selbst aus seiner Winterkleidung geschält hatte, sah er wesentlich sympathischer aus. Ich fand ihn sogar ausgesprochen attraktiv. Schlank, rank und sportlich, akkurat rasiert, gut gekleidet und mit einem hübschen Lächeln. Wie hatte mich der erste Eindruck nur so täuschen können?
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