Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
alle von der Performance deiner Leute profitiert. Wirklich tragisch. Ich bedaure sehr, dass es so enden muss.«
Was redete er da? Natürlich hatten alle profitiert. Er selbst hatte sogar mehr davon gehabt als ich, das war die Realität der an der Wall Street üblichen Vergütungspyramide. Die Vorstände und der CEO hatten profitiert. Die Bank hatte die jüngste Krise überstanden, indem sie das Hypothekenportfolio beizeiten abgestoßen hatte, aber es war eng geworden. Nun würden sie die Erträge neu beziffern müssen, um eine halbe Milliarde Dollar senken – das bedeutete einen herben Verlust.
»Wärst du doch nur zu mir gekommen, Jason! Wir hätten bestimmt eine Regelung gefunden. Du hättest in aller Stille ausscheiden und eine vernünftige Abfindung mitnehmen können. Wir hätten die Neubewertung der Positionen überdie nächsten Jahre verteilen können. Wir haben alle gedacht, dass es da einen Ausweg gibt. Wir waren bereit, mit dir zusammenzuarbeiten.«
Sie hatten es gewusst. Sie hatten es verdammt noch mal gewusst! Meine übliche steinerne Miene bekam sicher einen Knacks, aber wenigstens schaffte ich es, nicht zu japsen wie ein Fünftklässler, der zum ersten Mal was über Sex hört.
»Seit wann ...?«
»So ziemlich von Anfang an.« Er zuckte die Achseln und lächelte. »Die Zeiten waren schwierig. Es kam uns allen zupass, dass wir eine Abteilung hatten, bei der es gut zu laufen schien.«
»Ich weiß nicht, ob ich lachen oder kotzen soll.«
Er stand auf. Das Gespräch war beendet.
»Das alles ist im Zweifelsfall natürlich nie gesagt worden. Es tut mir ehrlich leid, Jason. Ich habe gern mit dir zusammengearbeitet.«
Ohne nachzudenken, schüttelte ich die Hand, die er mir hinstreckte. Ich war fertig. Ich kannte die Warnung beim Poker: Wenn du dich in der Runde umschaust und die Zeichen nicht erkennst, bist du dran.
Die Behörden ahnten etwas. Sie boten mir sechs Monate Haft in einem nur minimal gesicherten Country Club mit Blick auf die Hügel am Allegheny River, falls ich bereit sei, alles zu sagen, was ich über die »Verschwörung« wusste. Ich konnte ihnen nichts erzählen. Also wanderte ich für zwei Jahre ab, zuerst in die Vollzugsanstalt Ray Brook.
Die Presse zählte zwei und zwei zusammen. Floyd Norris von der New York Times kam immer wieder darauf zurück, dass die oberen Management-Etagen gewusst haben mussten, was los war. Das Wall Street Journal und die Financial Times zogen nach. Der Druck stieg beständig.
David durfte sich in den Ruhestand zurückziehen. Siesicherten ihm weiter sein Gehalt zu und gaben ihm einen Scheck über zwanzig Millionen Dollar – dafür, dass er einen Packen Dokumente unterschrieb, die verhinderten, dass er über seine Zeit in der Firma als Zeuge aussagen konnte. Er ist mit seiner zweiten Frau nach Südfrankreich gegangen. Das Letzte, was ich gehört habe, war, das er einen Surfkurs gemacht hat.
Kurz bevor sie mich von Ray Brook in die andere Anstalt verlegten, sah ich in den Fernsehnachrichten einen Bericht, in dem es hieß, der Vorstandsvorsitzende von Case Securities trete zurück, um mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. Und überraschenderweise habe der Vorstand sich entschieden, nicht den CEO zu seinem Nachfolger zu ernennen. Vielmehr werde damit gerechnet, dass dieser sich zurückziehen werde, sobald ein neuer Vorstandsvorsitzender bekannt gegeben sei. Den Gerüchten zufolge hatten sie alle eine Abfindung kassiert, die gereicht hätte, um ein kleines Land aufzukaufen.
2
Mein Vater setzte mich auf der 72. Straße ab und gab mir die Wohnungsschlüssel.
»Ach, und vergiss die nicht!« Er langte nach hinten und zerrte umständlich meine Valextra-Aktentasche nach vorn.
Ich hatte sie an dem Abend, bevor ich eingerückt war, in seiner Wohnung stehen lassen.
Sie enthielt die letzten Überbleibsel meines früheren Lebens. Meinen Ausweis, die Breitling-Armbanduhr, die ich mir geschenkt hatte, als ich zum Managing Director ernannt wurde, meinen Platin-Ehering, der mir zu groß geworden war. Und sechs Stapel Fünfzigdollarscheine, noch mit den Banderolen der Bank gebündelt. Genug, um die Wölfe fernzuhalten, bis ich mit Angie ins Reine gekommen war.
»Danke, Paps!« Ich hob die Tasche zu einem lässigen Gruß. »Wir sehen uns Freitag.«
Langsam rollte er davon. Ich atmete auf und sah mich prüfend um.
Ein fester Bestandteil der Geografie von New York ist der Wandel. Der echteste New Yorker ist der, der die meisten Generationen von Läden
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