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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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Tränen sprangen ihr in die Augen, und sie wollte sich auf ihn stürzen.
    «Du Unmensch!», kreischte sie und schlug nach ihm. Es war für ihn leicht, ihre Hände abzufangen. Wie ein Schraubstock war sein Griff, und er verbog ihr ein Handgelenk so schmerzhaft, dass sie aufschrie. Thomas fing an zu weinen, und Mary wich ängstlich ein paar Schritte zurück.
    Herrgott, was passiert mit mir?, dachte Audrey erschrocken. Sie machte sich von Matthew los. Bin das wirklich ich?
    Leute blieben stehen, und jemand fragte, ob alles in Ordnung sei. Matthew hob eine Hand. «Alles bestens!», behauptete er.
    Bestimmt würde die ganze Stadt auch hierüber schon vor Sonnenuntergang Bescheid wissen.
    «Benimm dich, Audrey. Es hilft uns allen nicht, wenn du verrückt wirst. Denk an das Kind!»
    «Und du? Denkst du denn an unsere Kinder? Oder geht es dir nur darum, mir weh zu tun?»
    Er wirkte verletzt. Aber nicht so sehr, dass er seine Pfeile schon verschossen hätte. «Du tust uns weh», erwiderte er kalt. «Erst Chris, jetzt Thomas und mir, und dem Ungeborenen schadest du bestimmt auch. Das hast du aus uns gemacht, Audrey. Ich hätte beinahe gesagt, dass ich dich nie hätte heiraten dürfen. Was für ein Glück, dass ich das gar nicht getan habe!»
    Stille.
    «Dann brauche ich mir nämlich nicht anzuhören, dass meine Frau mit einem Schwarzen rummacht. Du bist nämlich nicht meine Frau. Nie gewesen.»
    Sie blieb mit hängenden Armen stehen. In ihrem Unterleib zog es schmerzhaft, doch das ignorierte sie ebenso wie das leise Schluchzen des Kindes.
    «Geh nur wieder zu deinem Neger, lass es dir von ihm besorgen. Ich bin sicher, der ist alles, was du verdienst.»
    Er wandte sich ab, nahm Marys freien Arm und zerrte sie über die Straße. Audrey blinzelte. Staub drang ihr in die Augen.
    Er sieht schlecht aus, dachte sie traurig. Müde und erschöpft, als ob er auch keinen Schlaf findet. Aber mich tröstet das nicht. Ich will ihm diesen schmerzerfüllten Ausdruck vom Gesicht streicheln. Seine Kleider sind schmutzig, niemand kümmert sich um ihn, wie ich es immer getan habe. Er sagt nicht, dass er mich vermisst, er behauptet, da sei nichts mehr, dass er für mich empfinde. Aber er hat sich nicht einfach abgewendet. Er streitet.
    Vielleicht, dachte sie, obwohl sie jede Hoffnung bisher weit von sich gewiesen hatte, vielleicht ist er auch nicht bereit zu akzeptieren, was aus uns geworden ist.
     
    Als sie zwei Stunden später die kleine Pension betrat, in der sie ein Zimmer genommen hatte, schmerzte ihr Rücken, und sie hatte sich Blasen an den Füßen gelaufen. Die Pensionswirtin, eine zahnlose, junge Frau, der drei Kleinkinder am Rockzipfel hingen, von denen eins schmuddeliger war als das nächste, lauerte ihr im Flur auf.
    «Is kein Geld da fürs Abendessen», sagte sie.
    «Dann nehmen Sie was von dem, das ich Ihnen gezahlt habe.» Unwirsch schob Audrey sich an ihr vorbei. Herrgott, sie wollte einfach ihre Ruhe haben.
    «Is nix mehr von da. Hab den Kindern was gekauft.»
    Die Jüngste lutschte an ihrem dreckigen Daumen. Alle Kinder sahen nicht unbedingt vernachlässigt aus, aber gut versorgt stellte Audrey sich anders vor. «Ich hab auch kein Geld mehr», behauptete sie, obwohl sie noch einen Notgroschen hatte. Aber den durfte sie nicht anrühren, wer wusste schon, wofür sie ihn noch brauchte?
    Kinyua saß in dem kleinen, schmalen Zimmerchen auf dem Bett und wartete auf sie. Als Audrey die Tür hinter sich schloss, sprang er auf. «Du siehst nicht gut aus.»
    «Ich bin Matthew begegnet.»
    Sie sank aufs Bett und starrte auf ihre Hände, die nutzlos in ihrem Schoß ruhten. Das Kind trat, und sie lächelte traurig.
    «Erzähl mir später davon. Erst musst du was essen.»
    «Sie hat nichts, sie hat mich nur schon wieder um Geld angebettelt», sagte Audrey, weil Kinyua Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen.
    «Dann geh ich auf den Markt. Du musst was essen.»
    «Bleib nicht zu lange fort.»
    Er kam zurück, beugte sich zu ihr herunter und küsste sie auf den Mund. «Ich versprech’s.»
    Audrey legte sich aufs Bett, streifte die Schuhe ab und seufzte erschöpft. Er kümmerte sich. Und irgendwie fand er Mittel und Wege, trotz ihrer finanziellen Schieflage ein paar Köstlichkeiten zu beschaffen. Waren das seine Leute, die ihn versorgten? Oder ließ er bei einem indischen Händler anschreiben?
    Sie fragte nicht. Sie war nur unendlich froh, ihn zu haben.
    Die Tränen kamen so unvermutet, dass sie sich fast daran verschluckte. Sofort fuhr sie

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