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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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ich aus der Welt unter Wasser wieder auftauchen. Was tu ich morgen, was erwartet mich? Was meinen Sie? Jedenfalls muss ich heute wieder rausgehen und neue Klienten akquirieren. Was weiter wird, schreibe ich Ihnen das nächste Mal.
Mit herzlichem Gruß,
Elia Contini
    Die Seeoberfläche kräuselte sich plötzlich und ließ die Spiegelung der Sonne mit fast frühlingshafter Fröhlichkeit zersplittern. Contini stand am offenen Fenster seines Büros. Sein Nachbar hatte sein Motorboot wieder hervorgeholt und kurvte mit knatterndem Motor über den See davon.
    Auch Contini hatte Frühlingsluft gewittert und trug einen seiner weißen Leinenanzüge. Arbeiten konnte er nicht. Er lauschte noch eine Weile dem Motorboot, und als der Lärm verklungen war, beschloss er, zu Mittag zu essen. Er ging zu Piero und bestellte das Tagesgericht: Huhn in Weißwein-Basilikum-Sauce, dazu einen weißen Merlot. Er war wortkarger als sonst, und Piero ließ ihn in Ruhe.
    »Immerhin hat ihn die Journaille als Killer hingestellt«, erklärte er seinen Mitarbeitern in der Küche. »Klar, dass er eine Zeitlang braucht, bis er sich wieder einkriegt.«
    »Na, immerhin schmeckt’s ihm«, bemerkte eine Köchin mit Blick auf den leeren Teller.
    Ins Büro zurückgekehrt, widmete sich Contini der Schreibtischarbeit, schrieb Berichte, erledigte Zahlungen, legte Vorgänge ab. Nach der schlechten Presse in den vergangenen Wochen war seine finanzielle Situation alles andere als rosig.
    Am späten Nachmittag ließ er es gut sein. Er sperrte das Büro ab, setzte sich ins Auto und fuhr nach Bellinzona. Autofahrten brachten ihn manchmal auf andere Gedanken. An diesem Tag ließ er sich von Juliette Gréco begleiten. Wie zufällig kam er am Sitz der Kantonspolizei vorbei. Wie nebenbei, als wäre er im Geist anderswo, parkte er ganz in der Nähe.
    Wenige Minuten später, immer noch gedankenverloren, klopfte er an die Tür von Commissario De Marchi.
    De Marchi war nicht begeistert, ihn zu sehen. Diese Malvaglia-Sache hatte ihn um Jahre altern lassen; und je schneller er sie vergaß, desto besser war es. Contini setzte sich ihm gegenüber in den Sessel, schlug die Beine übereinander und lächelte liebenswürdig.
    »Was wollen Sie?«, fragte De Marchi.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete der Detektiv. »Und Sie?«
    Der Kommissär war recht langmütig geworden. In früheren Zeiten wäre ihm eine solche Antwort Anlass gewesen, seinen Besucher hinauszukomplimentieren.
    »Schauen Sie, Contini, es ist mir klar, dass Sie wenig Aufträge haben. Das ist, muss ich zugeben, zum Teil auch unsere Schuld.«
    »Zum Teil, ja.«
    »Aber wir haben uns bei Ihnen entschuldigt, oder? Und der Polizeichef persönlich hat versprochen, Ihnen unter die Arme zu greifen, bis Sie wieder auf den Beinen sind.«
    »Ja, das war wirklich sehr nett.«
    De Marchi schnaubte.
    »Um es kurz zu machen: Im Unterschied zu Ihnen habe ich Arbeit bis über die Ohren. Also spucken Sie’s aus: Was wollen Sie?«
    »Ich will wissen, warum die so genannte Treuhandgesellschaft von Amedeo Finzi immer noch existiert.«
    Der Kommissär wiegte seinen kahlen Kopf, und Contini musste an ein altes Pendel denken, ein Uhrpendel hinter Glas in der guten Stube.
    »Dafür bin ich nicht zuständig.«
    »Wieso«, fuhr Contini unbeirrt fort, »hat Calgari Tommi in seiner Zwangsvorstellung bestärkt? Wieso hat er versucht, mich in die Sache hineinzuziehen? Warum hat er eigenhändig vier Menschen umgebracht?«
    Der Kommissär nahm die Fragen schweigend, kopfwiegend hin. Diesmal fühlte sich Contini an einen federnden Punchingball erinnert, ein altes Gerät aus einer vorstädtischen Sporthalle.
    »Contini, Sie verblüffen mich.«
    »Was soll das sein, ein Kompliment?«
    »Ich frage mich, wieso Sie glauben, immer den Geistreichen spielen zu müssen.«
    »Wollen Sie das wirklich wissen?«
    »Nein, bloß nicht!«
    »Um auf Finzi zurückzukommen …«
    »Um auf Finzi zurückzukommen«, schnauzte De Marchi, »kann ich Ihnen sagen, dass das Dezernat für Wirtschaftsverbrechen gegen ihn ermittelt.«
    »Und was meinen Sie - wird man ihn diesmal endlich drankriegen?«
    »Offen gestanden, Contini: Wir wissen beide, dass hinter dieser scheußlichen Geschichte schmutziges Geld steckt. Aber das zu wissen ist eine Sache, und eine andere ist es, ohne handfeste Beweise vor Gericht - und vor Finzis Anwälten - auszusagen.«
    »Und deshalb«, seufzte Contini, »deshalb sind wir Polizisten heutzutage ziemlich nutzlos …«
    De Marchi breitete die Hände

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