Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
Vorwort
Ist es nicht vermessen, eine so komplexe Geschichte wie die der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis heute auf 101 Fragen einzudampfen? Man kann natürlich leicht zu dieser Meinung gelangen. Und dennoch: Wir machen ja ständig nichts anderes als darüber nachzudenken, welches die wichtigsten Fragen sind, die uns beschäftigen, wie sich vergangene Ereignisse, Strukturen, Prozesse gewichten lassen, wie handelnde Personen und ihre Wirkungen einzuschätzen sind. Auch dann, wenn Historiker Bücher mit über 1000 Seiten schreiben, wird das Problem nicht geringer: Sie treffen immer eine Auswahl aus dem endlosen Kontinuum der Geschichte. Eine kritische Beschäftigung mit der Vergangenheit ist lehrreich; sie kann – und darf – zudem vergnüglich sein. Wer dieses Buch zur Hand nimmt, soll über das Leben in der Bundesrepublik in seiner ganzen Breite informiert werden, politische und soziale Aspekte werden ebenso behandelt wie wirtschaftliche und kulturelle; nicht fehlen dürfen schließlich die deutsch-deutschen Beziehungsgeflechte sowie europäische und globale Dimensionen. Die einzelnen Kapitel haben in sich eine chronologische Ordnung, doch eigentlich lädt das Buch zum Stöbern ein und es können die Abschnitte unabhängig voneinander gelesen werden. Die Fragen sind gut überlegt und hin und her gewogen worden, aber nicht jede ist «bierernst». Alle jedoch haben sehr wohl ihre inhaltliche Berechtigung und zeigen die Geschichte bisweilen auch von einer eher ungewöhnlichen Seite. Viele meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Heidelberger Lehrstuhl für Zeitgeschichte haben Vorschläge gemacht, dafür danke ich herzlich. Kathrin Knödler vor allem und Till Karmann haben viel Arbeit investiert, Quellen und Literatur besorgt, das Manuskript gelesen und mich ständig mit Verbesserungsvorschlägen konfrontiert. Dafür bin ich sehr dankbar. Unterstützung kam ferner von Marcel Berlinghoff, Catrin Weykopf und Sophie Schuster; auch ihnen gilt, ebenso wie Dr. Sebastian Ullrich vom Verlag C.H.Beck, mein Dank.
Eine erfolgreiche Demokratie – Innenpolitische Entwicklungen
1. Gab es die «Stunde Null»? Für die meisten Deutschen war das Kriegsende eine ganz und gar niederschmetternde Erfahrung. Der vom Zaun gebrochene totale Krieg war verloren, die Wehrmacht musste bedingungslos kapitulieren. Bis zum Schluss hatte man die nationalsozialistischen Durchhalteparolen befolgt, hatte sogar schlecht ausgerüstete Kinder und Alte gegen die Alliierten ins Feld geschickt und jeden Meter bis zum bitteren Ende verbissen verteidigt, anstatt dem sinnlosen Sterben Einhalt zu gebieten und sich gegen das Amok laufende NS-Regime zu wenden. So total der Krieg, so total die Niederlage. Die Deutschen fühlten sich besiegt, aber keineswegs befreit und wussten nicht, was die Zukunft bringen würde. Ungewissheit und Angst beherrschten die meisten: Wie würden die Sieger mit den Deutschen umgehen? Die Sorgen waren berechtigt und entsprangen dem schlechten Gewissen, denn die meisten wussten genau, was in den vergangenen zwölf Jahren geschehen war: Angriffs- und Vernichtungskriege, der Holocaust – Verbrechen, die die Welt bis dahin nicht gekannt hatte. Natürlich war man dankbar, mit dem Leben davongekommen zu sein, die verheerenden Bombennächte oder Flucht und Vertreibung anders als Hunderttausende, ja Millionen, die getötet wurden, überstanden zu haben. Es wäre jedoch zu viel verlangt, am 8. Mai 1945 bei den Deutschen ein Verständnis dafür zu erwarten, dass Besiegtsein und Befreiung unauflösbar miteinander verbunden waren und dass die Niederlage den Keim für eine bessere Zukunft in sich barg; dieses Bewusstsein stellte sich erst sehr viel später ein. Auch auf Seiten der Alliierten war klar: Es wurde ein Feindstaat besiegt, nicht ein Volk befreit.
«Finis Germaniae», Deutschlands Ende. Über eine «Stunde Null» brauchte niemand nachzudenken. Für dieses Trümmerland und für dieses niedergerungene Volk würde es keine gedeihlichen Stunden mehr geben. Wie alle Europäer, so litten auch die Deutschen nach dem 8. Mai 1945 Hunger. Der Unterschied war: Bislang hatte man auf Kosten der ausgebeuteten Länder gut gelebt, erst als die Waffen schwiegen, fingen die Hungerjahre an. So begann die «schlechte Zeit» in den Augen vieler Deutscher erst mit den Besatzungsjahren. Und die gute Zeit brach für die Mehrheit der Zeitgenossen mit derWährungsreform von 1948 an. Sie war auch ein Symbol dafür, dass die
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