Am Haken - Ein maximalistischer Roman ueber das Leben die Liebe und den grossen Hecht
lächelnd. »Eines Tages werde ich dir zeigen, was richtige Männersachen sind. Da geht es dann darum, mit Eingeborenen im Dschungel zu leben, zum Südpol vorzudringen oder tiefe Meere zu erforschen. Nicht seinen Kopf in einen Motor zu stecken.«
Meiner Meinung nach ist das Herumbasteln an Autos eine typische Männersache. Nun mal ehrlich – wie viele Mädchen interessieren sich für Autos? Wenn ich im Herbst die Mechanikerausbildung anfange, dann sind wir zwanzig Sechzehnjährige – garantiert alle männlich.
Ach, nein. Mein Platz ist ja gar nicht mehr so sicher. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihn bekomme, sinkt mit jeder Minute. Ich glaube, die Chance, auf der Mechanikerschule in Tipling anzufangen, liegt maximal noch bei 10 %.
Als ich mich vor den Ferien dazu bereit erklärt habe, Starbokk einen Bericht zu schreiben, dachte ich, ich hätte tausend Millionen Tage und Stunden vor mir. Genügend, damit ich in der Lage sein würde, um über das Feuer und die Gründe, warum ich es angezündet habe, zu schreiben.
Die Stunden vergingen. Die Tage rannen nur so dahin. »Heute werde ich schreiben«, sagte ich zu mir selbst. Doch ich tat es nicht.
»Heute Abend tue ich es«, sagte ich mir jeden Morgen. »Ich werde es morgen in aller Frühe tun«, sagte ich mir jeden Abend, wenn ich ins Bett ging. »Bald,bald mache ich es. Ich will mir nur erst diesen Zappa-Song anhören«, sagte ich jeden Tag.
Und Tag für Tag fühlte ich, wie ich immer mehr zu einer ängstlichen kleinen Maus wurde.
Einer ängstlichen kleinen Maus, die nicht an die Flammen und an die Polizei denken mochte.
Für eine ängstliche kleine Maus war es einfacher, einen großen Bogen um den PC zu machen. Nicht zu schreiben. Die Vereinbarung vor sich herzuschieben. Sie einfach zu vergessen.
Und das tat ich. Ich vergaß alles.
Bis ich heute Morgen die E-Mail von Starbokk erhalten habe.
Aber wenn Jerry jetzt kommt, dann kann ich es ohnehin vergessen, irgendwann noch die Zeit zum Schreiben zu finden.
Nein! Ich muss mir etwas einfallen lassen. Etwas hakt in meinem Gehirn. Die gleichen grausamen Gedanken drehen sich immerzu im Kreis.
Denk an Männersachen! Hör Selma zu, die weiter über Männersachen quatscht! Denn ich weiß ja, was sie meint. Ihr Vater ist ein tüchtiger Jäger und Skiläufer. Er hat einen Jeep mit Vierradantrieb und Schlittenhunde. Er hat Haare, einen Bart und riecht nach Kiefern und Fichten. Als junger Mann ist er Marathon gelaufen. Früher war er mal Arzt in einem Flüchtlingslager und hat Menschen vor dem Tode gerettet. Er ist ein Schrank von einem Mann. Jetzt ist er Arzt an der Sporthochschule in Angler.
Allein der Ortsname Angler lässt mich wieder an Jerry und meine Probleme denken.
4. DER RIESE JERRY
Nach der SMS zu schließen, die ich heute Morgen bekommen habe, sitzt Jerry in diesem Moment in dem Bus aus Angler. In meiner Vorstellung mutiert Jerry gerade zu einem riesigen Riesen – einer Art Riesen-Jerry, der, rittlings auf dem Bus sitzend, auf mich zugedonnert kommt.
Ich spüre, wie die Erde bebt. Es vibriert in meinen Beinen. Das Bushaltestellenhäuschen wackelt, während der Riese auf mich zukommt. Es geht mir genau wie Vögeln, Hunden und anderen Tieren, die spüren, dass ein Erdbeben bevorsteht.
Spannung liegt in der Luft.
Jerrys riesiges, manisches Gesicht presst sich gegen die Frontscheibe des Busses, seine Augen haben die Größe von Parabolantennen und starren in meine Richtung. Er gleicht einer gewaltigen Flutwelle, die auf Tipling zurollt. Eine riesenhafte Kraft, die mich bald unter Tonnen katastrophaler Ideen erdrücken wird.
Selma versteht meine Gedanken.
Das ist das Beste an einer Freundschaft wie unserer. Wir kennen einander, seit sie mir im Kindergarten eine riesige Sahnetorte in mein verrotztes Gesicht gedrückt hat. Woraufhin ich ihr Saft über den Kopf geschüttet habe. Wir waren vier Jahre alt und saßen die nächste Stunde lang einträchtig zusammen, aßen Schlagsahne von meinem Gesicht und tauschten mit einem breiten Grinsen unsere Popel aus.
Das ist zwölf Jahre und viele Kilos her. Jetzt wiegtSelma 83 Kilo und findet sich unwahrscheinlich fett. Aber was soll ich dann sagen, wo ich die 10 5-Kilo -Grenze bereits überschritten habe?
Für junge Männer mit meinem Gewicht, die täglich Süßigkeiten essen, besteht zu 77 % die Gefahr, dass sie Probleme kriegen. Und zwar mit: Herz, Beinen, Magen, Rücken und einem ganzen Haufen anderer Teile im Körper auch noch.
Trotzdem
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