Am Haken - Ein maximalistischer Roman ueber das Leben die Liebe und den grossen Hecht
muss ich zugeben, dass mir mein Gewicht gefällt.
Im Winter wärmt es besser. Das Fett wirkt wie eine mitgeführte Isolation.
Ich habe einen Hintern, auf dem es sich gut sitzen lässt.
Mein Bauch ist perfekt, um eine Coladose darauf abzustellen. Und weich, wenn ich meine Hände darauf ablege.
Der Nacken hat eine schöne Rolle, die wie ein Kopfkissen funktioniert.
Arme, Ober- und Unterschenkel können problemlos einen Knuff vertragen.
Kurz gesagt: Für den Fall einer Kollision bin ich mit natürlichen Airbags ausgerüstet – die aber wohl eher Fatbags heißen müssten.
Und nicht zuletzt verschafft das Gewicht Respekt. Auf den Letzten, der versucht hat, mich zu mobben, habe ich mich einfach draufgesetzt. Und schon war Schluss mit dem Ärgern von Bud.
Andererseits habe ich nicht besonders viele Freunde.
Abgesehen von Selma. Ich bin nicht verliebt in sie. Sie ist ganz einfach nur eine äußerst treue Freundin.Ich wünschte, wir könnten für den Rest unseres Lebens Nachbarn bleiben. Und uns treffen – so wie wir es jetzt jeden Tag tun –, beispielsweise in einem Wartehäuschen.
Das ist ein schöner Traum. Denn Selma ist die Einzige, bei der ich momentan wirklich entspannen kann. Bei ihr gibt es kein Erröten, kein Stottern, keine halben Sätze, nervösen Ausreden oder Gedächtnislücken. Ich denke nicht eine Sekunde lang an das, was im Frühling passiert ist und was mich dazu gebracht hat, das Feuer zu legen.
Aber jetzt fährt sie bald. Und ich bleibe im Mäuseloch sitzen. Und bald kommt J… Die Gedankenschleife in meinem Gehirn dreht wieder eine Runde um meinen Cousin. Und ich spüre bereits, wie seine manische Energie mir entgegenströmt.
5. FETT IST SCHÖN
»Du guckst dir doch die Einführung in die Serie an?«, fragt Selma und reißt mich damit aus meinem Land der Sorgen.
Heute Abend läuft nämlich das »Fat-Vorspiel«. Das ist die erste von sechs Folgen, in der die Höhepunkte der letzten Fat-Burning-Camp-Staffel gezeigt werden.
»Aber selbstverständlich!«, antworte ich. »Abgesehen davon, dass es zu 75 % sein kann, dass Jerry ein Lieblingsprogramm hat, das wir einfach sehen müssen.«
»Nicht, wenn er erfährt, dass es zu den alten Folgenauch eine Vorstellung der kommenden Teilnehmer gibt«, erwidert sie, steht auf und wippt mit ihren Hüften und ihrem Po. »Shake it, shake it, baby«, singt sie mit ihrer Bluesstimme.
Seit sie sich das erste Mal begegnet sind, ist Jerry verliebt in Selma. Er hat versucht, sich das nicht anmerken zu lassen. Aber Selma hat ihn durchschaut. Jetzt ärgert sie ihn damit gnadenlos.
»Sei nett zu ihm«, bitte ich.
»Ja, ja«, antwortet sie und lässt sich wieder auf die Bank plumpsen, dass das ganze Wartehäuschen seufzt. »Aber wenn er noch einmal über mein Gewicht seine Späße macht, dann werde ich ihn zerquetschen!«
Ich habe Selma Leute zerquetschen sehen. Und bekomme eine Gänsehaut.
»Guck mal«, sagt sie und rollt die Speckfalten auf ihrem Bauch zwischen den Fingern hin und her. »Ich bin die so satt. Jetzt kommen sie endlich weg. Und niemand – ich wiederhole: niemand – wird sie je wieder erwähnen. Und schon gar nicht Jerry! Ich bin seine Kommentare über Dicke wirklich leid. Er wird mich vor dem Camp nicht mehr fertigmachen.«
Ich schaue weg.
Mir ist es unangenehm, wenn die Leute so persönlich werden und an ihrem Körper herumfummeln. Außerdem mag ich Mädchen, die aussehen wie Selma. Mädchen mit schönen Speckfalten, großem Busen, einem runden Po und kräftigen Schenkeln. Sollte es da draußen ein Mädchen für mich geben, dann muss es ungefähr so wie Selma aussehen. Anderewürden sie vielleicht als fett oder verfressen bezeichnen. Für mich sind sie nur schön.
Jemand sollte Selma sagen, dass sie hübsch ist, so wie sie ist. Aber mir ist es zu peinlich, ihr das zu sagen.
»Da kommt der Bus!«, ruft Selma plötzlich und ich werde wieder ins Land der Sorgen katapultiert.
6. »NENN MICH GANZ EINFACH NUR JERRY!«
Dort unten aus dem Tal nähert sich der Bus aus Angler. Ich recke den Kopf, um besser sehen zu können, und entdecke eine Gestalt auf einem der vordersten Sitze, die heftig winkt.
Ich stehe auf.
Und setze mich.
Und stehe wieder auf.
Ich weiß nicht so recht, was ich tun soll.
»Immer mit der Ruhe!«, kommandiert Selma. Und ich lasse mich einfach fallen. Das hätte ich nicht tun sollen. Denn plötzlich knackt die Sitzbank und ich befinde mich im freien Fall. Meine 105 Kilo stürzen senkrecht hinab und
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