Am Meer ist es wärmer
war, der Boden unter dem Tisch, Momos herumliegende Hausschuhe, die feinen Staubkörnchen, die daran hafteten, die weißen Schläfenhaare meiner Mutter, die damit beschäftigt war, Fusseln aufzusammeln, ihre vom Spülen aufgequollenen Hände, mit denen sie sich immer wieder an die Schläfen fasste, die runzligen Arme und die Nähte ihrer bis zu den Ellenbogen aufgekrempelten Ärmel.
»Es ist so blendend hell«, sagte ich.
Sie lächelte. »An einem Tag wie diesem findet man alles wieder, was man verloren hat.«
»Ob das auch bei mir so ist?«, fragte ich. Wieder lächelte sie und blinzelte stumm ins Licht.
»Kanten (*) muss man in heißem Wasser einweichen«, sagte meine Mutter.
»Es sieht aus wie ein Stock.« Momo lachte.
»Ich habe es schon vor zwei Stunden ins Wasser gelegt. Jetzt musst du es gründlich auswaschen und allen Schmutz entfernen.«
Momo knetete die eingeweichte Algensubstanz in einer Schüssel mit Wasser. »Ist das gut so, Oma?«, fragte sie. Von der Seite erinnerte sie mich sehr an Rei. Die Nasenpartie und die Linien um den Mund, wenn sie lachte.
Sie gab das zerpflückte Kanten ins Wasser und setzte es auf kleiner Flamme auf.
»Guck mal, das Wasser wird glibberig«, sagte Momo.
»Glibberig?«, fragte meine Mutter.
»Naja, es stockt, aber nicht so richtig, es ist irgendwie dünner.«
Die Stimmen, die unseren Frauenhaushalt wie Spatzengezwitscher erfüllten, klangen hell und geschmeidig. Sie trugen nicht sehr weit, doch ihr Klang hallte noch lange nach.
Momo gab Zucker und Milch in den Topf und fügte zum Schluss noch etwas Mandelessenz hinzu. Dann goss sie die Masse zum Abkühlen in eine flache viereckige Form.
»Du bist wieder ein Stück gewachsen, Momo«, sagte meine Mutter. »Und deine Hände sind warm. Warme Hände sind wasserabweisend.«
Die weiße Mandel-Milch-Masse gelierte allmählich.
»Kanten wird fest, ohne dass man es in den Kühlschrank stellt«, erklärte meine Mutter.
»Ich möchte es aber lieber in den Kühlschrank tun. Kalt schmeckt es besser«, erwiderte Momo.
Drei Paar Arme griffen beim Kochen überkreuz, berührten einander und lösten sich wieder voneinander - ein faltiges, ein glattes und ein nicht mehr ganz so festes Paar.
Ich wurde nicht mehr verfolgt.
Alles um mich herum war frei und fühlte sich ein wenig kühl an.
Ich verspürte ein Stechen in der Brust, das aber gleich wieder verschwand. Es war mir schon vertraut. Mit den vertrauten Stichen werde ich weiter durch eine ungewisse Dämmerung gehen. Ob am Ende ein Licht wie das, das unser Haus durchflutete, erscheinen würde?
Ich schrieb meinen Roman um. Bei jedem Lesen fand ich etwas Neues. Am Ende war ich von den endlos auftauchenden Mängeln so entnervt, dass ich Seiji anrief.
»Ein Text, den man endlos überarbeiten möchte, ist gut«, sagte er und verbarg ein Lachen.
Seijis Stimme durchdrang mich.
Der Anruf diente auch dazu, mich zu vergewissern, ob ich Sehnsucht nach ihm bekommen würde. Er war mir nicht sehr fern, aber nah war er mir auch nicht. Ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, mich wieder mit ihm zu treffen. Bald würde der Klang seines Namens keine Reaktion mehr in mir hervorrufen.
»Ich schicke dir das Manuskript. Würdest du es bitte lesen?«
»Ja, gern«, antwortet er ruhig.
Warum war Rei verschwunden? Es wäre nicht nötig gewesen, die Zeit hätte ihm geholfen. Denn die Zeit ändert alles.
»Du hast dich nicht verändert«, sagte Seiji.
Es war, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich war überrascht. »Findest du?«
»Deine Art zu sprechen ist genau wie früher.«
»Es ist ein seltsames Gefühl, wenn du das Wort ›früher‹ benutzt«, sagte ich. Seiji lachte lautloss. Ich kannte ihn wirklich schon sehr lange.
»Momo sieht Rei immer ähnlicher«, sagte ich.
Früher hatte ich es möglichst vermieden, Reis Namen zu nennen. Nun, wo Seiji und ich getrennt waren, fiel es mir leichter.
Ich erinnerte mich noch gut daran, wie es sich anfühlte, Seiji zu lieben. Auch daran, wie wir uns noch vor kurzem geküsst hatten. Wie ich mich danach gesehnt hatte, dass unsere Körper und Gefühle eins wurden. Doch inzwischen hatte ich kein Bedürfnis mehr, unsere Beziehung wiederherzustellen.
»Kinder werden schnell erwachsen.«
Ich hatte einmal ein Foto von seinem Sohn gesehen. Er war zwei Jahre jünger als Momo. Damals ging er in die erste Klasse, trug kurze Hosen und Kniestrümpfe. Seine Ärmel waren zu lang. Und er sah nicht aus wie Seiji. »Meiner Frau ähnelt er auch nicht.
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