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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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hier auch von Seiji lösen.
    Kaum atmete ich auf, verwandelte sich die Präsenz in etwas Kaltes, Beängstigendes. Sich zu lösen war vielleicht doch nicht so leicht. Ich ließ den Kopf hängen und rief noch einmal Seijis Nummer an.
    Ich wollte gerade eine Frühlingszwiebel aus meinem Salat mit Miso-Dressing herauspicken, als die Frau erschien.
    Es war das erste Mal seit meiner Rückkehr aus Manazuru.
    »Es war sehr ruhig bei Reis Vater«, erzählte ich Seiji.
    »Du wirkst etwas verändert«, sagte er leise und sah dabei nicht mich an, sondern in die Richtung der Frau.
    Am liebsten hätte ich ihn gefragt, ob er zu mir zurückkäme, da ich mich doch verändert hätte. Aber es hätte nichts genützt. Denn was bedeuteten schon Worte?
    Die Frau, die mich begleitete, würde bald ganz verschwinden. Ich ahnte es. Das war nicht von Anfang so gewesen, eher war es ein Gefühl, das direkt von ihr kam. Alle, wirklich alle, verließen mich.
    Nach dem Essen verließen Seiji und ich gemeinsam das Restaurant. Statt Verlangen spürte ich nur Leere. Ein Mensch, mit dem ich lange zusammen war. Nach der Trennung blieb nichts als Leere. Seiji empfand es sicher ebenso.
    Dennoch teilten wir ein Zimmer. »Aber ich will dich nicht körperlich«, sagte ich. Seiji lachte. »Ich dich schon.«
    »Es ist kalt«, sagte ich. Er nickte.
    »Ich mag dich«, sagte ich. Wieder nickte er.
    Obwohl ich Seiji gern hatte und mich ohne ihn leer fühlte, hatten wir uns getrennt. Jemanden zu mögen war wohl nicht Grund genug, um mit ihm zusammen zu bleiben. Ich legte mich mit meinem ganzen Gewicht auf ihn. Er umarmte mich. Auch ich legte meine Arme um ihn. Wie schön es wäre, wenn wir miteinander verschmelzen könnten. Aber jeder blieb in sich versponnen.
    »Wohin wirst du gehen, Seiji?«, fragte ich.
    »Dorthin, wo ich immer gewesen bin.« Er verwendete fast die gleichen Worte wie die Frau in meinem Traum.
    »Es ist still hier.«
    »Ja, sehr.«
    Es war die gleiche Stille wie in Reis Haus.
    Dort sah ich durch die mit Papier bespannte Schiebetür die Schatten der Bäume im Garten. Die schwache Präsenz kam und ging. Schließlich wurde sie in die Vitrine mit den Puppen hineingesogen. Die Pfeile, die die Minister zur Rechten und zur Linken auf dem Rücken trugen, waren hübsch und in Form eines Fächers angeordnet.
    Ich spürte Seijis Herzschlag. Vielleicht war es auch mein eigener. Die Töne vermischten sich und wurden in diesem Zimmer zu einem. Obwohl wir auseinander, obwohl wir getrennt waren, waren wir eins.
    Das Gefühl der Leere verstärkte sich. Unsere Fingerspitzen waren bleich.
    Hand in Hand waren wir eingeschlafen.
    Unsere einzige Berührung. Wie schön, wenn Seiji mein Sohn wäre. Oder mein Vater oder mein Bruder. Mit diesem Gedanken war ich eingeschlafen.
    Als das morgendliche Licht uns weckte, hielten wir uns nicht mehr an den Händen. Seiji drehte sich um. Am Morgen ließ sich die Traurigkeit kaum aufrechterhalten. Sie zerstob im gleißenden Licht.
    »Morgen«, sagte ich und tippte gegen Seijis Nasenspitze.
    Leise brummend öffnete er die Augen. Ich rückte meinen Ausschnitt in sein Blickfeld und hoffte, er wurde unsere Trennung bereuen. Aber er achtete gar nicht darauf.
    »Wie spät ist es?«
    »Acht Uhr.«
    »Wir müssen frühstücken«, sagte Seiji in kindlichem Ton. Er hatte noch nicht ganz seine übliche Gestalt angenommen.
    »Dummkopf«, sagte ich und stupste noch einmal gegen seine Nase.
    »Bin kein Dummkopf.« Es klang wieder kindlich.
    Könnte ich ihn doch jetzt, ehe seine Gestalt sich wieder verfestigte, nach meinem Geschmack formen.
    Seiji stand auf und ging ins Bad. Ich hörte den Wasserhahn laufen, dann die Dusche. Als er aus dem Bad kam, hatte er bereits wieder seine richtige Form. Er warf einen kurzen Blick auf mich, holte aber gleich seine Kleider aus dem Schrank und zog sich rasch an.
    »Könntest du deinen Roman noch ein bisschen umschreiben?«, fragte er dienstlich, nachdem er sich fertig angezogen aufs Sofa gesetzt hatte.
    »Welche Stellen?«
    »Nur ein paar in der Mitte.«
    Beim Schreiben hatte ich ständig an Seiji gedacht. Mitunter war ich so unglücklich gewesen, dass ich nicht weiter schreiben konnte. Ich hatte gehofft, meine Stimmung würde sich bessern, sobald ich den Roman beendet hätte, aber ich fühlte mich überhaupt nicht erleichtert. Ungefähr in der Mitte gab es eine Episode, in der die Heldin per Fax einen Liebesbrief erhält. Sie fasst ihn mit nassen Händen an, und die Schrift verschwimmt. War es diese Stelle,

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