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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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präsentieren könnt?»
    «Ich würde selbstverständlich gern einen größeren Beitrag zur Entwicklung der Synagoge leisten», erwiderte Kaplan steif.
    «Nun, das haben Sie bereits.»
    «Ach, wirklich?»
    «Gewiss. Sie sind der erste Vorstandsvorsitzende seit Jacob Wasserman, der ein praktizierender Jude ist. Das an sich ist schon ein sehr wichtiger Beitrag.»
    Kaplan nickte nachdenklich. «Glauben Sie nur nicht, dass das eine vorübergehende Erscheinung ist, Rabbi. Ein neuer Geist hat bei uns Einzug gehalten. Ich wurde gewählt, gerade weil ich ein praktizierender religiöser Jude bin. Ich möchte darauf hinweisen, dass eine ganze Anzahl meiner Freunde, Menschen, die genauso denken wie ich, ebenfalls in den Vorstand gewählt worden sind. Warum? Weil eine allgemeine Sehnsucht nach Religion besteht. Und zwar nicht nur an der Oberfläche. Es gibt eine religiöse Renaissance, das spüre ich. Und darum wurde ich gewählt.»
    «Nun ja …» Der Rabbi lächelte geringschätzig. Er hielt es für unklug, jetzt von Tizziks Erklärung für die Wahl zu sprechen oder von seiner eigenen.
    «Der junge Bursche, der vorhin neben Ihnen saß, der mit dem Bart – haben Sie gesehen, wie der gedavent hat? Mit wie viel Eifer und Intensität? Das ist ein Zeichen der Zeit. Wer war das übrigens?»
    «Keine Ahnung. Ein Fremder, der in der Nähe zu Besuch ist. Er heißt Rokeach, Akiva Rokeach.»
    «Da drüben ist er.» Kaplan nickte zum anderen Parkplatzende hinüber, wo Rokeach in einen niedrigen Sportwagen kletterte. Sie sahen zu, wie er seinen Motor hochjagte, anfuhr und in weitem Bogen auf sie zukam. Ganz kurz bremste er vor dem Rabbi und winkte ihm zu. «Sie erinnern sich wohl nicht mehr an mich, Rabbi», rief er laut.
    «Sollte ich das? Kenne ich Sie denn?», fragte der Rabbi. Der junge Mann hatte ihn bei dem Motorenlärm jedoch offenbar nicht gehört, denn er lachte und fuhr davon.
    «Er scheint Sie zu kennen», sagte Kaplan.
    «Ich erinnere mich nicht an ihn. Vielleicht hat er an einem der Colleges studiert, wo ich vor Hillel-Gruppen gesprochen habe. Vielleicht hat er mir dabei mal eine Frage gestellt.» Er musterte den Vorsitzenden mit merkwürdigem Blick. «Sie glauben also, dass er gedavent , dass er sich vor und zurück gewiegt hat ist ein Zeichen für religiösen Eifer?»
    «Wie würden Sie es denn sonst nennen?»
    Der Rabbi zuckte die Achseln. «Eine Angewohnheit, einen Manierismus, übernommen von denjenigen, die ihn das davenen gelehrt haben, und das kann noch nicht lange her sein, nach seinem holprigen Hebräisch zu urteilen.»
    «Sehen Sie, Rabbi, das ist es gerade. Das ist genau das, was ich meine. Er ist neu. Er muss erst vor kurzem Interesse an der Religion bekommen haben. Und sie scheint ihm sehr viel zu bedeuten, wenn er, wie Sie sagten, nur zu Besuch hier ist und trotzdem zum minjen kommt. Er ist bestimmt keine Ausnahme, glauben Sie mir. Bei diesen Mittwochabendempfängen bei mir zu Hause hört man so viele ähnliche Geschichten, dass …»
    «Ach so, das machen Sie also Mittwochabends, wie? Sie setzen sich alle zusammen hin und legen Zeugnis ab!»
    «Wir diskutieren über alle möglichen Themen», widersprach Kaplan steif. «Jeder Beitrag ist willkommen. Besuchen Sie uns doch auch mal an einem Mittwochabend, dann können Sie sich davon überzeugen.»
    «Das werde ich vielleicht wirklich tun. Heute Abend …»
    «Heute Abend wird es für Sie kaum etwas Interessantes geben», unterbrach ihn Kaplan hastig und setzte dann schnell hinzu: «Sie sind selbstverständlich herzlich willkommen, nur …»
    «Ich wollte sagen, dass ich heute Abend leider keine Zeit habe. Ich muss einen Krankenbesuch machen. Der alte Jacob Kestler. Ich habe versprochen, ihm eine Weile Gesellschaft zu leisten.»
    «Wir wär’s denn dann mit nächsten Mittwoch? Notieren Sie sich’s auf Ihrem Kalender. Oder sonst an jedem Mittwoch, an dem Sie Zeit haben.»
    «Gut. Ich komme.»

4
    Am Mittwochmorgen kam Marcus Aptaker, Besitzer des Town-Line Drugstore, genau wie an jedem anderen Tag des Jahres um Punkt sieben Uhr zum Frühstück herunter. Er war ein methodischer, systematischer Mensch und verrichtete die Dinge, die er regelmäßig tat, automatisch. Frisch rasiert, die randlose Brille blitzend, das dünne, bräunlich-blonde Haar angeklebt, als sei es aufgemalt. Er war schlicht, aber elegant in seinen blauen Anzug gekleidet: der blaue für Montag, Mittwoch, Freitag, der graue für Dienstag, Donnerstag und Sonnabend. An Sonntagen trug er, da das

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