Die Tote vom Johannisberg
1. Kapitel
Die Stimme der Frau war so sanft wie der Sahneklacks auf einer Bergischen Waffel.
»Detektei Rott?« hauchte es aus dem Hörer.
»Am Apparat«, antwortete ich. Leider konnte ich nicht sehen, ob ihr Mund so rot wie die Kirschen waren, die zu Bergischen Waffeln gehören. »Was kann ich für Sie tun?«
Sie zögerte. »Das ist schwer am Telefon zu sagen.«
»Wenn es um einen Auftrag geht, sollten wir uns besser treffen. Sie können mir einen Treffpunkt nennen oder in mein Büro kommen.«
Wieder herrschte für einen Moment Stille in der Leitung.
»Wo ist Ihr Büro?« fragte sie dann.
»In Elberfeld. Ecke Kasinostraße und Luisenstraße. Sie finden meinen Namen unten an der Klingel. Mein Büro ist im dritten Stock.«
»Gut. Wann haben Sie Zeit?«
Ich tat, als würde ich in meinem Terminkalender blättern.
»Wie wäre es in einer Stunde?«
»In einer Stunde.« Sie legte auf.
Der Abreißkalender neben meinem Schreibtisch zeigte den neunundzwanzigsten Oktober. In Wirklichkeit war aber schon der vierte November. Der erste war Allerheiligen gewesen, und somit wartete mein Vermieter Krause schon den dritten Tag auf die neunhundert kalt, die meine drei Zimmer kosteten. Doch auf meinem Konto herrschte genauso Ebbe wie in meinem Vorratsschrank. Heute morgen hatte ich den letzten Kaffee verbraucht, und ansonsten fristeten in der Küche noch je eine Dose Erbsensuppe und Ravioli ihr Dasein.
Da ich nach dem Anruf der unbekannten Sanften schon mal damit begonnen hatte, mir über meine Besitzstände klar zu werden, beschloß ich, diesem Thema ausführlich auf den Grund zu gehen. Auch wenn es weh tat.
Ich suchte den letzten Kontoauszug. Er zeigte ein Minus von einundfünfzig Mark dreiundzwanzig und hatte sich mittlerweile wegen diverser Versicherungsabbuchungen und der letzten Telefonrechnung sicher erhöht. Ganz bestimmt war mein bescheidener Überziehungskredit voll ausgeschöpft. In meinem Portemonnaie befanden sich genau vierzig Mark in Scheinen, denen ein bißchen Kleingeld Gesellschaft leistete. Ich verzichtete darauf, es zu zählen. Ich klopfte weiter meine Taschen ab und fand schließlich eine Schachtel Camel mit acht Zigaretten darin.
Eigentlich konnte ich froh darüber sein, daß ich gesund war und ein Dach über dem Kopf hatte. Und vielleicht hatte ich in einer Stunde ja einen Auftrag. Dieser Gedanke hinderte mich daran, mich wieder einmal selbst zu beschimpfen, daß ich überhaupt auf die Schnapsidee gekommen war, eine Detektei aufzumachen. Seit zwei Jahren ging das nun schon so: ein ewiges Hangeln von Job zu Job. Mal eine weggelaufene Ehefrau wiederfinden, dann einen krank geschriebenen Angestellten überwachen, dessen Chef berechtigte Zweifel an der Krankheit seines Mitarbeiters hegte. Einmal sollte ich sogar für einen eifersüchtigen Ehemann die Frau testen. Er wollte einfach nur wissen, ob sie fremdgehen würde, wenn jemand zufälligerweise was von ihr wollte. Auf dieses Spiel hatte ich mich nicht eingelassen und so mindestens einen Tausender in den Wind geschossen.
Im Grunde träumte ich davon, einmal einen so richtig spektakulären Fall zu lösen. Einen Fall, bei dem man am Ende schlauer als alle anderen dastand. Einen Fall, der mich in die Zeitung brachte. Einen Fall, der mich berühmt machte - und so reich, daß ich meine Detektei schließen und als Interviewpartner durch die Harald-Schmidt-Shows dieser Welt tingeln konnte. Sozusagen als Jet-set-Detektiv.
Nun hatte ich erst mal eine Stunde Zeit, um mein Büro auf Vordermann zu bringen. Zwei Zimmer meiner Wohnung wurden privat genutzt, das dritte - gleich neben der Eingangstür gelegen - war das sogenannte »Büro«. Zwei Ikea-Wippstühle, ein Resopalschreibtisch mit einem durchgesessenen Chefsessel dahinter und ein Regal mit juristischer Literatur bildeten das gesamte Inventar. Ich hatte die Bücher nie gelesen. Sie stammten von einem Freund, der sein Jurastudium aufgegeben hatte, um eine Bar auf Mallorca aufzumachen. Ich hoffte meine Auftraggeber damit zu beeindrucken.
Im Moment hatte ich so wenig mit einem Auftrag gerechnet, daß mein Büro als Auffanglager für leere Getränkekisten, schmutzige Wäsche und Altpapier diente. Ich schuftete eine halbe Stunde lang, um alles möglichst professionell aussehen zu lassen. Ich schleppte sogar den Staubsauger aus dem Keller nach oben. Dann fiel mir ein, daß auch mal gelüftet werden mußte. Ich öffnete das Fenster, das in Richtung Wupper hinausging.
Genau fünf Minuten vor der vereinbarten
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