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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Lautstärke an. Obwohl Emil ihn von oben sah, empfand er Peters Unerreichbarkeit mindestens so sehr wie seine Mutter. Etwas schien über ihn gestülpt wie eine Hülle, unsichtbar zwar, aber ebenso dicht wie jene Gefrierbeutel, in denen er vorher die Fische ins Haus getragen hatte. Carla drückte ihrem Sohn die Säcke in die Hand. »Bring den Kram hier mal nach oben. Oder nein, ich muß das sowieso alles durchwaschen. Bring es in den Keller. Geh schon, min Jung!« Peter nahm die Sachen, das Gewicht der Säcke zog ihn nach vorne, doch er blieb einfach stehen und stierte vor sich hin.
    Als die Raus an den Schwarzen Berg zogen, hatten sie das stille Nachbarhaus mit ihrer Gegenwart überrannt. Emil war im Frühjahr 1979 am Fenster seines Arbeitszimmers gestanden und hatte hinuntergeglotzt, vollständig gelähmt von der Wucht der Ereignisse, die nebenan in Auffahrt und Garten ihren Lauf nahmen. Die verstorbene Nachbarin, das alte Fräulein (Freilein) Rieber, genannt das Frei, war eine schweigsam vor sich hin gärtnernde Einsiedlerin gewesen. Sie zog Stecklinge unter umgedrehten Marmeladengläsern, pappte Leimringe um die Stämme ihrer Obstbäume und klaubte mit unverhohlener Freude die zuckenden Raupen des Apfelwicklers ab, um sie zu zerquetschen. Die beiden Gärten verlotterten Seite an Seite, weil das Frei zu alt geworden war für das große Stück Land.
    Wie hatte Emil die Neuen gehaßt, die das vereinsamte Grundstück in Besitz nahmen! Allen voran Hajo, der in Anzug und Krawatte aus seinem Auto, schon damals ein Daimler, stieg. Ein Lackaffe, Besserverdiener, der Pfeife rauchte und sich sofort überall zu schaffen machte. Trotz seiner konventionellen Kleidung wirkte der Eindringling draufgängerisch und bewegungsfroh. Er ließ das quietschende Gartentor des Frei kopfschüttelnd hin und her schwingen, trat mit dem Fuß gegen den bröckelnden Putz und beklopfte die schiefen Fensterläden wie ein Fleischhändler das Schlachtvieh. Mitten auf der Wiese stopfte er die Fäuste in die Hosentaschen und strahlte vor Zufriedenheit. Es war klar, daß er die Erwerbung des Frei-Hauses als größten Triumph seiner lumpigen Scheckbuch-Existenz betrachtete. Seine Frau war attraktiv, trotz Blümchenbluse unter ihrer Strickjacke. Ein wenig träge, schob sie sich aus dem Auto, streckte sich und setzte die hohen Absätze vorsichtig auf den matschigen Boden. Emil schüttelte sich hinter seinem Vorhang. Es war klar, daß sich mit diesem Paar, Spießern, wie sie im Buche standen, auf dem wilden Altweibergrundstück von nun an alles breitmachen würde, was er verabscheute: Gartenmöbel mit Auflagen, Pflanzschalen voller Stiefmütterchen und vertikutierter Rasen, Anrufe wegen Samenflug und Heckenschnitt, Wogen seichter Radiomusik, Grilldunst und Beziehungsgeschnatter.
    Um die Apfelbäume lag das Laub vom Vorjahr und klebte schwarz an den Schuhen der Fremden. Sie winkten in Richtung Wagen. Die hintere Tür flog auf, und ein Kind stürzte heraus, ein Junge, vielleicht neun, klein, dünn und schnell. Er rannte durch das feuchte Gras, schlug mit der Faust auf die Borke des alten Birnbaums, setzte über ein Mäuerchen, nahm die Hand seiner Mutter, um sie gleich wieder loszulassen und den Hang hinaufzurennen. Dabei brüllte er: »Das ist unser Garten, echt, das ist unserer!« Emil trat vom Fenster zurück und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Ein Kind auch noch, ein Blag, ein Gör, eine Krott. Das durfte doch nicht wahr sein! Im Grundschulalter, Gott sei’s geklagt. Lärm, Dreck, Unvernunft und, das war das Schlimmste: ein Erinnerer. Veronika und Emil hatten sich über Jahre vergeblich bemüht, ein Kind zu bekommen, und schließlich aufgegeben.
    Der Einzug der neuen Nachbarn war in die Osterferien gefallen, und der Junge zeigte sich fast jeden Morgen im Garten. Die Geübtheit, mit der er Gerten aus dem Haselgesträuch riß, ihnen die Würstchen abdrehte und den Blütenstaub in hellgrünen Wolken wegpustete, verriet Emil, daß er es gewohnt war, alleine draußen zu spielen. Seine räumende Mutter rief ihn abwechselnd aus allen Fenstern des Hauses: Peter! Peter wußte, daß die dunklen Büschel, die wie kleine Inseln aus der scheckigen Wiese herauswuchsen, Schnittlauch waren. Einer der scharf schmeckenden Stengel hing ständig zwischen seinen Lippen. Emil fragte sich, ob das Kind auf einem Grashalm pfeifen konnte.
    Emil schlief schlecht in dieser Zeit und lag oft in der Dunkelheit wach, bis die Schwärze sich bläulich auflöste und die ersten

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