Am Schwarzen Berg
mögen sie gerne. Du mußt ihr einen Namen geben und ein Stück Rasen einzäunen. Wenn du willst, helfe ich dir dabei.« Entzücken krauste die sommersprossige Nase, verengte die runden Augen zu ungläubigen Schlitzen, riß den Mund auseinander. Peter hüpfte vor Begeisterung hoch in die Luft. Petra hatte Emil zwölf Mark gekostet. Sie stammte aus dem Zoohaus Schreiter in der Marienstraße, wo er schon als kleiner Junge seine ersten Fische gekauft hatte und mit Peter später häufig Aquariumszubehör holte. Noch Jahre nach Peters Auszug hatte Petra die Wiesenkräuter der Raus angeknabbert und in einem ehemaligen Vogelbad herumgepaddelt, bis eines Abends das Türchen ihres Gatters offengeblieben war. Veronika behauptete steif und fest, die Schildkröte lebe jetzt im Gängelbachwald. Sie habe sie dort auf einem Baumstumpf sonnenbaden gesehen.
Endlich setzte sich Peter in Bewegung und taumelte auf das Haus zu. Er war ein anderer, nicht allein durch den Schmutz an seinem Körper. Besonders fremd machte ihn der Bart, der in das Gesicht hineinwuchs wie ein haariges Geschwür und die vertrauten Züge lippenlos und wild erscheinen ließ. Peters Rücken war krumm. Emil schämte sich, ihn so zu sehen. Es war, als beobachtete er ihn bei einer peinlichen Angelegenheit. Carla machte einen verwirrten Eindruck. Emil bemerkte, daß sie sich geschminkt hatte; auf den vollen Lippen glänzte der diskrete hummerrote Lippenstift. Aber sie trug dunkelblaue, plumpe Plastiksandalen, mit denen sie normalerweise nie vor die Tür gegangen wäre. Carla hatte große Füße mit langen gelblichen Zehen, die sie ebensowenig mochte wie ihre ungetuschten Wimpern. Mit diesen Zehen konnte sie einen Stift halten und ihren vollen Namen an die Wand schreiben: Caroline Mathilde Rau, geborene Petersen. Mit dem Fuß schrieb Carla kühne, weitausgreifende Buchstaben, ganz anders als ihre geduckte Schülerinnenschrift. Selbst einen Doppelnamen hätte sie fertiggebracht, aber das kam nicht in Frage. »Peinlicher Emanzenkram. Dann denken alle, ich würde es mit Hajo nicht ernst meinen.« Ihre Kunstfertigkeit hatte den kleinen Peter ungeheuer beeindruckt. Es war das erste, was er Emil über seine Mutter erzählte: »Meine Muddi« – er sprach es hamburgisch aus –, »die kann mit dem Fuß schreiben und Sachen vom Boden aufheben wie ein Affe. Sie hat auch in meinem Zimmer was für mich an die Wand geschrieben. Soll ich es dir zeigen?«
Peter verschwand im Haus. Carla sah ihm nach, kurz nur, als ertrage sie es nicht. Sie beugte sich über den Kofferraum und raffte Plastikflaschen, Zeitungen zusammen, dazu eine weitere Tüte, ein schwarzledernes Reisenecessaire, aus dem eine Dose Rasierschaum hervorragte, silbern mit blauer Kappe. Emil erkannte seine eigene Marke. Carla verstaute sie der Länge nach, zog den Verschluß mit einem Ratsch zu, um ihn gleich darauf noch ein paar Mal zu öffnen und wieder zu schließen, als ob das Funktionieren dieses simplen Mechanismus sie beruhigte.
Danach untersuchte sie den Inhalt der Tüte, zog kopfschüttelnd ein paar leere Klopapier- und Zewa-Rollen heraus, zwei angekohlte Stöcke, Bonbonpapierchen, verschiedene Pappdeckel. Sie zuckte mit den Schultern und stopfte die Flaschen dazu. Emil verstand, daß sie einfach klar Schiff machen wollte. Carla war, wie sie selbst zugab, »pütscherig«. Es war nicht immer angenehm in ihrer Gegenwart. Kaum hatte man fertiggegessen, getrunken, ausgeraucht, riß sie einem Teller, Glas oder Aschenbecher weg und verstaute das Zeug in der Spülmaschine. Nie stand etwas herum. Das alles strengte sie an. Den Alltag bewältigte sie mit Hilfe von Listen, über die sie fortwährend stöhnte: Wäsche, 40 Grad, 95 Grad, Blumen gießen, Betten machen, Hühnerfrikassee, Schuster, Reinigung. Nur Licht und Wärme konnten Carlas Umhersausen stoppen. Kaum war es der Januarsonne gelungen, die ersten Krokusse hervorzukitzeln, lag sie schon auf der Gartenliege, eingewickelt in ihren Lammfellmantel. Bei jeder Gelegenheit bot sie ihr sanftes Profil, die zarte, schon früh knitternde Haut der Sonne dar.
Veronika war der Überzeugung, daß hinter Carlas Haushaltsnöten ein System stecke. Sie verdächtigte die Nachbarin, sich selbst mit dem Staubsauger fertigzumachen, damit ihr Mann nicht auf die Idee käme, sie könne ihm täglich in der Praxis helfen. Auch der kleine Peter litt manchmal unter der Ordnung, die ihm abverlangt wurde. Seine Mutter scheuchte ihn gerne, und Emil sah das mit Befriedigung, denn dann floh
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