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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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1 Es war noch früh und doch schon sehr warm, als Emil Bub an den Rand seines Balkons trat. In der Einfahrt des Nachbargrundstücks hob ein Mann einen schlammverschmierten Glasbehälter aus einem rostigen Fiat. Beim Bücken rutschte ihm das T-Shirt aus den Jeans und gab einen breiten blassen Hautstreifen frei, übersät mit entzündeten Eiterpusteln. Ihr wildes Erdbeerrot wechselte sich mit dem Bläulichbraun der heilenden Stellen ab. Der Mann ging leicht in die Knie, preßte seine Last gegen die Brust und lief langsam auf die geöffnete Haustür zu. Seine Flip-Flops klatschten bei jedem Schritt gegen die nackten Fußsohlen. Die Sonne schien in den schmutzigen Glasquader. Auf seinem Grund lagen mehrere wassergefüllte Gefrierbeutel. Unter ihrer zitternden Plastikhaut schossen dunkle Schatten hin und her. Erst jetzt wurde Emil klar, daß es Peter war, der Sohn seiner Nachbarn, der das leere Aquarium schleppte. Peter bemerkte Emil nicht, stieß mit der Schulter gegen die Tür, drehte sich dabei ein wenig zur Seite und schob sich durch den Spalt. Emil sah sein kurzes, filziges Bartgestrüpp, die schmale Nase, seine hohe blasse Stirn und die halbgeschlossenen Augen. Die Tür fiel hinter Peter ins Schloß. Auf dem schwarzen Holz wackelte ein mit blauen Schleifen geschmückter Weidenkranz an seinem Haken.
    Emil umklammerte das Geländer mit beiden Händen, fühlte den brüchigen Lack. Immer wenn er Peter traf, sah er ihn als kleinen Jungen, der auf ihn zuflog, für den er in die Knie gehen mußte, damit er sich nicht an seiner Gürtelschnalle verletzte, wenn er sich mit knochigem Schwung an ihn preßte, um schließlich hochgehoben zu werden – kaum 25 Kilo, die gerippte Zartheit der Cordhosenbeine, das sehnige Zappeln, der leuchtendgelbe Kaugummigeruch. Das glatte Gesicht von dunkelblondem Haar verhangen, sein Geflüster in Emils Ohr: »Buckelköpfe sind die besten Fische, die sehen aus wie böse Männer. Klasse, Emil.«
    Emil verharrte am Rand seines Balkons. Im Kofferraum des Fiats lagen schmutzige Baumwollbeutel, vollgestopfte Plastiktüten und eine schwarze Reisetasche aus Nylon, die er Peter vor Jahren für einen Türkei-Urlaub geliehen hatte. Der silberne Daimler von Peters Vater war verschwunden. Hajo war meistens schon vor sieben Uhr auf dem Weg in seine Praxis.
    In der Küche pfiff der Wasserkessel. Emil eilte hinein, fast dankbar dafür, seinen Posten verlassen zu müssen. Mit einem wattierten Ofenhandschuh riß er die Tülle ab, damit seine Frau nicht geweckt wurde, goß das kochende Wasser in den Porzellanfilter und sah zu, wie das Kaffeepulver im hellbraunen Papier moorig aufwallte. Auf einem Tablett stand das Geschirr, das er gleich nach dem Aufwachen zurechtgestellt hatte, um draußen den Frühstückstisch zu decken. Die Sommerferien dauerten schon eine Weile. Trotzdem war Emil wie gewohnt bei Sonnenaufgang wach geworden. Ihm war übel gewesen, und seine Knie hatten gezittert, als er barfuß in die Küche geschlichen war. Zwischen den Einbauschränken roch es nach sonnenwarmem Linoleum und Brot. Als er sich über die Spüle beugte, um einen Schluck aus dem Hahn zu trinken, sah er sein Gesicht im Chrom der Armatur, eine winzige verzerrte Faschingsmaske, von der er sich schnell abwandte.
    Emil war ein sehniger Mann mit schlechter Haltung, großnasig, großäugig, im eigenen Körper zu Hause wie in einem ehemals eleganten Anzug. Erblickte er sich nackt im Spiegel, erschrak er manchmal über den alten Kerl. Seinen Kopf fand er noch am besten, mit dem vollen Haar, das in einer grauen Tolle in die Stirn hing. Emil wußte, daß seine Schüler ihn wegen dieser Frisur, seiner zarten Gestalt und einer Vorliebe für pastellfarbene Pullover manchmal ›das Büble‹ nannten. Er unterrichtete Deutsch und Geschichte an einem Stuttgarter Gymnasium; bis zur Pensionierung fehlte ihm noch ein Jahr. Er trug das Tablett auf den Balkon und setzte es auf dem taufeuchten Oval des Tisches ab. In Veronikas Blumenkästen summten ein paar Bienen. Die struppigen Lavendelbüsche boten ausreichend Schutz, um noch einen verstohlenen Blick nach drüben zu werfen. Die Tür war geschlossen. Emil verteilte Teller und Tassen. Beim Hinstellen bemühte er sich, nicht zu klappern.
    Am Vorabend hatten Veronika und er hier draußen Cognac getrunken. Er wußte nicht mehr, ob sie die ganze Flasche geleert hatten, erinnerte sich aber an den starken Duft des Geißblatts, das an der Dachrinne hochrankte, an die weit heraushängenden rosa Blütenzungen.

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