Am Schwarzen Berg
freistehende Villen. Emil schnaufte. Es roch nach feuchter Erde und Schnittlauch. Ein Haselbusch hing über den Zaun, stäubte gelb auf seine Schulter. Im Gegensatz zu anderen Hanglagen der Stadt sah man in Heslach auch schmutzigen Putz, schadhafte Dächer, Fensterrahmen mit abblätterndem Lack und wildwuchernde Gärten.
Emils Hintern schmerzte auf den Balkonfliesen. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er nur seine Unterwäsche trug, verwaschene dunkelblaue Boxershorts und ein ausgeleiertes T-Shirt. Er zog die Knie bis unters Kinn und lauschte auf das Geplätscher der Dusche. Veronika mußte bald kommen, er roch ihre Seife durch das gekippte Fenster. Nebenan rührte sich nichts. Carlas Marmeladengläser standen immer noch auf dem Küchensims. Die Sonne ließ das Gelee rot funkeln.
Nachdem Peter bei seinen Eltern ausgezogen war, hatte er häufig die Wohnung gewechselt. Der Eintrag in Emils Adressbuch war umkränzt von vielfach durchgestrichenen Telefonnummern und Straßennamen in Gaisburg, Bad Cannstatt, Freiberg. Immer waren es Wohngemeinschaften – mit Schulfreunden, später mit Kollegen aus der Logopädieschule, dazu ständig wechselnde Freundinnen.
Eines Tages kam eine Postkarte aus dem Etzelweg, auf der zwei rosige Ferkel über den Rand eines Umzugskartons schauten und verkündeten: ›So schön hatten wir’s noch nie!‹ Peters hastige Schreibschrift schwankte über die vorgedruckten Linien. Neben seinem Namen stand: Maria ›Mia‹ Müller. Der Spitzname hatte Emil verdrossen. Er fand ihn affig und gewollt, es roch nach Plattencover oder Filmabspann, besonders im Kontrast zum Nachnamen. Bei Peters Frauen hatte Emil schon lange den Überblick verloren. Ihm schien es immer dieselbe zu sein: ein schweigsames, ungeschminktes Mädchen mit langen Haaren, das flache Schuhe trug, sich mit Halbedelsteinketten schmückte und Lederbändchen um das Handgelenk wickelte. Mia hatte ihn überrascht, weil sie ganz anders gewesen war. Schlank, nur wenig kleiner als Peter, der sie mit strahlendem Gesicht vor sich her in den Türrahmen schob, Emil und Veronika entgegen. Die Bubs wippten auf der Fußmatte, versteckten sich hinter einem zellophanverpackten Rosenstrauß und einer schleifengeschmückten Sektflasche. Mia hatte den Kopf mit den schwarzen Locken hoch getragen. Ein Gemmengesicht mit zartem gelblichem Teint, braunen Augen, über denen dünne, dunkle Brauen in weiten Bögen standen. Sie sah Emil und Veronika direkt an und lächelte. Unter einer dunkelblauen Kostümjacke trug sie eine weiße Bluse mit Schleifenkragen und einen kurzen Rock, dazu perlmuttglänzende Strumpfhosen. Ihr Bauch wölbte sich weich unter dem seidigen Stoff. Die Füße steckten in flauschigen Pantoffeln mit Hundegesichtern.
Die neue Wohnung bestand aus drei kleinen Zimmern, ausgelegt mit grauem Linoleum. Emil erkannte Peters Kelimteppiche, seine abgeschabten Sperrmüllsessel und indischen Wandbehänge, die doppelreihig gefüllten Bücherregale. Die beigefarbene Couch, zu der Peter sie geführt hatte, war neu, ebenso das gelb gemusterte Kaffeegeschirr. »Ich werde noch ganz ordentlich, seht ihr.« Sie bekamen Apfelkuchen mit Sprühsahne und musterten verstohlen die junge Frau, die in ihrem Chefsekretärinnen-Outfit zwischen Küche und Wohnzimmer hin- und herlief, eine Thermoskanne hereinbrachte und Peter übers Haar strich. Mia folgte Emils Blick durch das Zimmer und zeigte aus dem Fenster ins Grüne hinaus. »Das ist nichts für ewig. Aber das Kind kann später draußen spielen, man geht direkt aus dem Wohnzimmer in den Garten. Sie wohnen ja sehr schön, dort in Burghalde. Peter hat mir Ihr Haus gezeigt. Wir haben auch bei Ihnen geklingelt, aber Sie waren nicht da. Peter hat mir gesagt, Sie seien so etwas wie seine zweiten Eltern.« Mia sprach schnell. Rosige Flecken bildeten sich auf den Wangenknochen. Eine Hand spielte mit dem Anhänger, den sie an einer breiten Kette trug: eine schwere, schalenartig geformte Arbeit aus Gold, in deren Mitte in einem Brillantenkranz eine einzelne große Perle saß. Veronika bewunderte das Schmuckstück. Mia errötete noch tiefer: »Das hat meine Mutter mir hinterlassen. Es ist schon lange in unserer Familie.«
Seine Besuche im Etzelweg richtete Emil meistens nach Mias Arbeitszeiten. War sie doch zu Hause, plänkelte er höflich herum, wand sich unter ihrem dunklen Blick, stellte ein paar interessierte Fragen nach ihrer Arbeit und vermied es, von seiner zu reden, um sie nicht zu verletzen. Mia hatte ihr
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