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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Straßen fraßen sich in das ehemalige Landschaftsschutzgebiet. Von seinem Balkon aus sah Emil auf grüne Hügel, umgürtet von den Sandsteinmäuerchen alter Weinberge. Bis auf ein paar hölzerne Wengerterhütten standen hier keine Häuser. Dahinter lag der Neckarhafen mit seinen Industriebauten.
    Emil starrte die Umrisse der Bäume auf dem Hügelkamm an und spielte mit einem Kaffeelöffel. Dann sprang er wieder auf und trat an das Balkongeländer, wo er langsam in die Hocke ging und sich leise ächzend neben einem Rosenkübel auf den Boden setzte. Er atmete vorsichtig, voller Furcht, man könnte unten sein Schnaufen, sein Herzklopfen hören. Durch das brüchige Gewebe der Bastmatten, die um das Geländer gespannt waren, behielt er das Nachbarhaus im Blick und blieb selbst unsichtbar. Seine Knie schmerzten, Arthrose und seine störrisch kultivierte Unsportlichkeit. Er verzog das Gesicht und gab sich Mühe, nicht zu stöhnen. Es war feige, sich hier zu verkriechen, aber er spürte, daß er nicht einfach fröhlich rufen und winken konnte, wenn nebenan die Tür wieder aufging, um den bärtigen Mann auszuspeien, an dem offensichtlich nichts mehr stimmte.
    Oben ging die Toilettenspülung, ein Fenster wurde gekippt. Veronika war aufgestanden. Emil roch ihre erste Zigarette und ärgerte sich. Er begann erst am späten Vormittag mit dem Rauchen, wenn er bereits etwas geschafft hatte: Rasen mähen, Altglas wegbringen, endlich die Textausschnitte für die erste Klausur nach den Ferien heraussuchen. Er fixierte die Tür der Raus, bis das schwarze Viereck wie ein Block aus dem weißen Mauerwerk trat, und wünschte sich, seine Frau käme endlich herunter, um an seiner Seite zu warten und den Schrecken zu mildern, den er dahinter vermutete.
    Ein Ohrenzwicker krabbelte über Emils nackten Fuß. Er beobachtete das Insekt eine Weile bei seinem beschwerlichen Weg über die blasse, haarige Haut, streckte dann den Zeigefinger aus. Der braunglänzende Chitinleib mit der winzigen Zange wackelte, als er sich hochzog. Emil setzte den Ohrwurm in die Rose.
    Ende März war er zum letzten Mal im Etzelweg gewesen, wo Peter mit Mia und den Jungen seit fast sieben Jahren wohnte. Gleich nach dem Nachmittagsunterricht hatte er sich auf den Weg gemacht. Vom Gymnasium neben dem Staatstheater dauerte es mit dem Wagen eine knappe Viertelstunde, nicht zu vergleichen mit der Weltreise von Burghalde nach Heslach, diesem letzten Wurmfortsatz der Stadt, eingepreßt in ein enges Tal. Der Tag war von einer herausfordernden weißen Helligkeit gewesen. Alles schien sich im unverbrauchten Licht aufzuheizen, das durch das blasige Nachkriegsglas der großen Fenster in den Klassenraum fiel. Auf den Arbeitstischen war jede Kritzelei zu erkennen (›Jasmin, du Nutte!‹ ›Kentucky Schreit Ficken‹). Vom graugeriebenen Eichenparkett stiegen glühende Stäubchen auf. Die hängenden Köpfe seiner Schüler waren umgeben von flüssigen Metallströmen, Bronze, Gold, Schwarz. Sie rissen die Münder zum Gähnen auf, jeder Speichelfaden ein glitzernder Strang. Draußen auf der Schillerstraße wirbelten die Fahrzeuge Staub auf. Dahinter lagen die Wiesen des Schloßgartens. Auf dem winterlich vergilbten Rasen hockte die blauschwarze Spinne des Planetariums. Mit dem Klingeln war Emil noch vor seinen Schülern aus dem Klassenzimmer gestürzt. Am Rand des Lehrerparkplatzes ließen die Raucher bläuliche Wolken aufsteigen. Emil klemmte seine Tasche unter den Arm, ein speckiges Ungetüm voller Bücher, die größtenteils nichts mit dem Unterricht zu tun hatten. Seine Schüler nannten die Mappe ›Bubs Mops‹. Für die stärkste Ausbeulung sorgte eine PET-Flasche Apfelschorle, zu einem Viertel mit Aquavit gefüllt, der um diese Uhrzeit schon lauwarm war. Emil überhörte das Herr-Bub-Herr-Bub-Gesäusel seiner beiden Klassenprimadonnen und überquerte den Parkplatz, während sich die meisten Jugendlichen die Ohren mit den weißen Pfropfen ihrer iPods zustöpselten und in einen Nachmittag voll Lernsklaverei hineintaumelten. Manchmal hatte Emil gegenüber seinen Schülern ein schlechtes Gewissen. Er selbst war nach langen träumerischen Umwegen an das Amt des Studienrates geraten und war sich sicher, daß seine Abiturienten, hätten sie von dieser Mühelosigkeit gewußt, in wütende Tränen ausgebrochen wären. Oft dachte er, daß sie ihn nicht ernst nahmen, aber sobald er vor ihnen stand, fühlte er sich sicher, häufig sogar wohl, und er wußte, daß nicht viele seiner Kollegen dies

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