Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
Gästehandtuch haben heute kuschelweich zu sein. Ebenso Babydecken, Eisbären aus Plüsch und ein gestrickter Kaktus aus Angorawolle. Gerade kuschelig in sind Männer mit Bart, die wie eine Mischung aus Nikolaus und George Clooney aussehen. Man pflegt sie von alters her »Bärchen« zu nennen.
Kopf hoch und Brust raus sind Empfehlungen von gestern. Nur wer sich ständig um seine Seele bemüht und um Himmels willen nicht probiert, sie für schlechte Zeiten abzuhärten, erreicht das Klassenziel der neuen Gemütlichkeitsgesellschaft. Für das Abschlusszeugnis mit Prädikatsnote kommt es auf die richtige Mischung an. Mit Salatfutter vom Biohof, einem Weichspüler für die Seele und ein paar Sternchen auf der Weste sind selbst Menschen wie du und ich was Besonderes und werden in Geschäften vom Personal mit einem jubelnden guten Morgen bedacht.
Nikolaus in der Lebenskrise
Freien Himmelsflug für den Freund mit Rauschebart, der so schön lachen kann, als wäre es optimal um die Welt bestellt. In Frankfurt und Umgebung kommt der Nikolaus in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember. Anderswo lässt er sich einen Tag länger Zeit mit seinen Gaben. Es ist hoch zu schätzen, dass der übergewichtige Menschenfreund nicht vor den Ungereimtheiten der modernen Welt kapituliert und trübsinnig wird.
Weshalb soll er denn Kinder bescheren, die nicht mehr an ihn glauben? Auch deren Eltern lassen unangenehm oft wissen, dass die Zeit der Vorfreude ihnen Taille und Laune verdirbt. Sie klagen über Stress und Verdruss. Geschenke finden sie überholt und den Nikolaus keinen Mann fürs Herz. Früher war das anders. Spätestens ab Juni konnte man ungehorsamen Buben und widerborstigen Töchtern drohen, der Nikolaus würde sie mit seiner Rute zur Räson bringen oder sie in seinen Sack stecken. Auf immer und ewig. Solche Schauergeschichten glaubt heute kein Kind mehr; eher wendet es sich nach Drohungen seitens der Erziehungsberechtigten ans städtische Sorgentelefon oder den Kinderschutzbund. Ruten wurden von aufgeklärten Pädagogen missbilligt, das Ängstigen von Kindern streng geahndet. Wen wundert es da noch, dass die cleveren Kids von heute, die in der virtuellen Welt sofort losballern, wenn ihnen etwas nicht passt, nicht jubeln, wenn Nikolaus ihnen einen rotbackigen Apfel hinhält? Strahlende Augen sind von gestern. Liz will kein Püppchen, sondern einen Computer, schon ein Fünfjähriger bezweifelt, dass Nikolaus es schafft, alle Kinder dieser Welt an einem einzigen Abend zu beschenken. Weshalb reist er denn immer noch mit Rentier und Schlitten statt im Ferrari, und wozu das ganze Theater, wenn man doch allerorten einen Nikolaus mieten kann?
Das Recht der Jugend auf unbequeme Fragen und die Pflicht der Eltern, Rede und Antwort zu stehen, sind im Grundgesetz festgelegt. Nikolaus, von Hause ein heiliger Mann, der Kinder liebt und Erwachsene auch für Menschen hält, hat das Nachsehen. Will er die Weihnachtszeit Jahr für Jahr unversehrt überstehen, braucht er einen Panzer für seine Seele. Und einen verständnisvollen Psychiater. Der klopft dem verunsicherten Pfundskerl auf die Schulter und macht ihm allabendlich klar, dass wenigstens die Alten, die früher brav ihre Gedichte aufsagten, wenn er polternd in der Diele stand, immer noch an ihn glauben.
Der Winter und die Wirklichkeit
Wo sind die Nervensägen hin, die in früheren Jahren so bildhaft den Wintern ihrer Kindheit nachtrauerten? Mit roten Apfelbäckchen stapften sie durch den deutschen Wald, sangen frohe Lieder und rasten mit dem Schlitten ins ewige Winterglück. Nun hatten wir in den letzten Jahren meistens grüne Weihnachten und vorwitzige Schneeglöckchen, die schon im Januar den Frühling einläuten wollten. Da beklagte das große Heer der immer Unzufriedenen aus einem Mund, dass der Himmel die Deutschen um sein Recht auf eine ordentliche, knackige Eiszeit betrüge. Nichts war es mit zugefrorenen Weihern, auf denen Raben Schlittschuh liefen. Aus den Wolken tropfte monatelang nur Wintergrau, der Punsch schmecke nicht, und am Kaminfeuer erzählte keiner mehr die alten Heldenmärchen.
Es steht zu vermuten, dass Petrus das Dauergejammer nicht ausgehalten hat, denn dieses Jahr hat er uns endlich das Wetter geschickt, um das wackere Winterfans so lange gewinselt haben. Sind sie nun zufrieden und bewerfen einander schon morgens um sieben mit Schneebällen und Lebenslust? Diesbezügliche Berichte sind ausgeblieben. Um es zeitgemäß auszudrücken: Wir sind nicht mehr auf den Umgang
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