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Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Titel: Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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einen schlechten Ruf weg hat, ob als Spielverderber, Geizhals, falscher Fuffziger oder Politiker im Wendemantel, der entkräftet ihn sein Leben lang nicht. Frau Franziska, die in der zweiten Klasse ihre Schokodrops mit keinem teilte und bei Mathearbeiten selbst die ärmsten Säue nicht abschreiben ließ, bekommt das bei jedem Klassentreffen zu spüren. Wer einmal gelogen hat und sei es nur aus Not, wer je geprotzt, geklatscht, gelästert hat, dem verzeiht die Nachwelt nie. Selbst ein liebendes Mutterherz vergisst nicht, dass ihr Augapfel als Zwölfjähriger ihr Geld aus der Handtasche mopste.
    Später sind es die Chefs und die Punktezähler in Flensburg, die für die klitzekleinste Verfehlung ein phänomenales Gedächtnis haben. Sorgsam führt auch die Gattin das Sündenregister ihres Mannes, seinerseits rechnet er ihr die Schuhe nach, die sie gekauft und wie oft sie ihm die Suppe versalzen hat. Davon leben Scheidungsanwälte, die Weltliteratur und Familienserien im Fernsehen. Auch der November wird sich treu bleiben. Wetten, dass der Meister der deprimierenden Zunft keinen einzigen Punkt aus seinem nebelgrauen, trauertrüben Repertoire gestrichen hat.

Erdbeeren mit Pfeffer und Bison mit Tofu
    Köche, die Erdbeeren mit Pfeffer anmachen und den Pichelsteiner Eintopf der gutbürgerlichen Tage mit Zitronengras würzen, gelten nicht mehr als kulinarische Rebellen. Noch nicht mal als Sonderlinge. In einem Beruf, in dem die Multikulti-Mischung auf dem Teller so selbstverständlich geworden ist wie das gut geschliffene Messer, mag keiner der Zunft als ein gewöhnlicher Kochmützenträger dastehen, der eine Scholle zum Brotschnitzel paniert, Rumpsteaks in Zwiebelsauce ertränkt und zu Hause seiner Brut heimlich Zucker und Zimt auf den Milchreis streut.
    Gäbe es keine Köche, würden wir zwar auch nicht mehr auf den Bäumen hocken und Küchenrezepte mit den Affen austauschen, aber wir hätten nie gelernt, dass die Völlerei so wenig animierend ist wie Gleichungen mit zwei Unbekannten. Dank der Köche im Fernsehen wissen wir, worauf es beim ultimativen Genuss ankommt. Mit Engelsgeduld hämmern sie uns ein, dass nur die Bereitschaft, der Zunge fortwährend Unbekanntes zuzumuten, den Menschen zum Genießer macht. Nichts da mit Kartoffeln und Quark oder dem Spiegelei auf dem altmodischen Schnitzel Holstein. Gestattet bleibt es höchstens, von den Eiern in Senfsauce zu schwärmen, die Großmutter zum Erlebnis der Kindheit machte, oder von der Kartoffelsuppe mit dem doppelten Schuss Griebenschmalz, die es in der Kneipe an der Ecke gab, ehe aus ihr eine Pizzeria wurde. Noch sind Heuschrecken in Kochjus nicht in, aber anzudeuten, man würde derlei gern mal kosten, sichert jedem Tölpel einen Happen Aufmerksamkeit.
    Es könnte allerdings sein, dass uns Durchschnittsmenschen gerade die Küche unserer Zeit verunsichert. Wer aß in Deutschland früher Strauß, Bison, Sushi oder Tofu mit Meeresalgen? Schon grüner Salat mit Entenleber war so undenkbar wie quadratische Teller. In Sachen Salat entdecke ich bei mir Regungen, die mir von der Veranlagung her absolut wesensfremd sind. Immer öfter treibt es mich, dem Mann am Herd ausrichten zu lassen, dass ich keine Kuh bin.

Scheidungen sind auch nicht mehr das, was sie waren
    Die Welt wird immer schöner, und die Menschen werden edel und gut. Allerorten siegt die Vernunft. Ein wohltuendes Beispiel sind die Leute, die eine perfekte Ehe führten und die, wenn die Liebe verwelkt, uns die perfekte Trennung vorführen. Früher waren Scheidungen viel diffiziler. Vor Äonen, als ich noch genau wissen wollte, wie die Welt beschaffen ist, suchte ich Aufklärung in der väterlichen Anwaltspraxis. Dort studierte ich unbemerkt und verbotenerweise die Scheidungsakten. Stand auf einem Aktendeckel Meyer gegen Meyer oder Odenheim gegen Odenheim, gab es auf jeder Seite Zündstoff. Bis zur letzten Socke wurde schmutzige Wäsche gewaschen. Meine Lieblingslektüre war ein in die Akten gelangter Brief, geschrieben von einer Geliebten des die Scheidung begehrenden Ehemannes, eingereicht von seiner wütenden Gattin. Das Schreiben begann mit der Anrede »Meine geliebte Wärmflasche mit den süßen Henkelöhrchen« und endete mit der Unterschrift »Dein Wolleschaf«.
    Heute sind die meisten Scheidungen so unromantisch wie Küchenkrepp. Selbst Madonna, von der man sich einiges versprach, trennte sich im Blitztempo von Mr. Guy, ohne dass mehr laut wurde als die Versicherung, man achte einander sehr und sei weiter um

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