Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
Frösche, ein Pferd sowie eine Dynastie von Rindviechern, Ziegen und Hühnern, aus denen ich per Kuss königliche Lebenspartner zu machen trachtete.
Zuweilen befällt mich immer noch die Kindersucht, das Leben von Grund auf umzukrempeln, aber am Ende siegen doch Vernunft und Lebenserfahrung. So verschloss ich mein Herz und öffnete stattdessen das Küchenfenster. Ungeküsst entließ ich den goldenen Käfer in die Freiheit. Für verzauberte Prinzen haben Frauen, die älter sind als 17, nicht mehr die rechte Verwendung. Es stört das Wissen, dass ein Prinz auch nur ein Mann ist, der morgens mürrisch und abends maulfaul ist, seine Wollsocken in die 60-Grad-Wäsche schmuggelt und lieber ungesundes Cholesterin futtert als gesunden Brokkoli.
Ihre Größe führen wir nicht!
Ab dem Zeitpunkt, da der Blick in den Spiegel kein Vergnügen mehr ist, sind einkaufende Frauen nicht vor mitleidigen Bekundungen junger Verkäuferinnen geschützt und schon gar nicht vor der vernichtenden Feststellung: »Ihre Größe führen wir nicht.« Solche Bemerkungen hinzunehmen und dabei das Beileidslächeln des Personals mit erhobenem Kopf zu erwidern, ist eine Sache von Erfahrung und Training. Tägliche Übungen in Selbstbewusstsein, die zu dem Ergebnis führen, dass auch die Jugend nicht ewig jung bleiben wird, tragen dazu bei, dass eine Frau ihre Garderobe nicht ausschließlich im Versandhandel bestellt. Die Männerwelt hat nach meinen Erfahrungen einen wesentlich schwereren Stand als wir Frauen. Verkäufer von feinem Zwirn und eleganter Abendgarderobe sind meistens in den allerbesten Jugendjahren, aber beklagenswerterweise selten mit den Grundregeln für Takt und feines Benehmen vertraut. Die garstigen Buben der verkaufenden Zunft sind gar herzlos und gemein. Einen Mann, der nicht die deutsche Normhöhe von 1,78 Meter hat, bezeichnen sie nach flüchtigen Schätzungen als untersetzt und führen ihn mit leicht angeekelter Miene in die Abteilung für Dickbäuchige. Für den Jüngling indes, dem noch alle Kaloriensünden bevorstehen und der ausschaut, als würde er nur Karotten mümmeln, produziert zuweilen selbst die bestgefüllte Herrenabteilung weder Hose noch Jackett.
Männer, die in einem Tweedjackett aufkreuzen, das wie der Hauptgewinn in einer Tombola auf einem schottischen Dorffest wirkt, werden so lange übersehen, bis sie freiwillig den Schauplatz ihrer Niederlage verlassen. In England hingegen kennzeichnet Kleidung mit deutlichen Gebrauchsspuren und von unmodischem Zuschnitt den wahren Gentleman. Ach, was täte es dem deutschen Mann gut, käme man hierzulande nur annähernd so weit, dass Verkäufer ihn so nehmen, wie er sich rund gegessen hat. Es ist roh, Meister X seinen Bauch vorzuwerfen oder Herrn Y darauf hinzuweisen, dass er hängende Schultern und zu wenig Hintern hat. Selbst den Opa in Jeans, der beim Anblick einer Nietenjacke wie ein verliebter Kater schnurrt, sollten die schönen, jungen Verkäufer mit der Idealfigur für voll nehmen. Vielleicht ist für die Generation, die erst morgen Bauch tragen und beleibte Männer so schätzen wird, wie einst Cäsar, eine altjüdische Weisheit von Nutzen: Was ein Mann schöner ist als ein Affe, ist immer ein Gewinn.
Die neudeutsche Gemütlichkeit
Wenn die Tage zum Grausen grau sind, reicht es nicht, die Seele in Watte zu packen. Kluge Leute geben sich ja nur mit dem Besten zufrieden und verlangen das permanente Verwöhnprogramm. Bei Winterkälte munden am besten schaumig geschlagene Kräutersüppchen, Edelfische in Liebe frittiert und Mousse aus Wolkenschaum und Traumfäden.
Die Seele ist noch anspruchsvoller. Reichten ihr lange Zeit ein paar Streicheleinheiten (über das Jahr verteilt), so muss heute mindestens dreimal in der Woche gekuschelt werden. Ursprünglich war Kuscheln eine Kommunikationsform zwischen Mutter und Baby oder allenfalls zwischen Frau und Katze, aber inzwischen erheben Menschen beiderlei Geschlechts Anspruch auf einen Zustand, der in Neudeutsch als seelische Wellness bezeichnet wird, beim althergebrachten Kuss beginnt und im Bestfall bei derzeit aktuellen Kuschelpartys endet. Dort wird unter anderem bewiesen, dass der Zweibeiner nicht dazu geschaffen ist, allein zu sein, beim Austausch von Zärtlichkeiten jedoch längst nicht so putzig aussieht wie eine Katze.
Das Wort Kuscheln spornt die Industrie zu entsprechenden Wortschöpfungen an. Die lassen vergessen, dass die Zeiten längst nicht so gemütlich sind, wie man uns weismacht. Jeder Waschlappen und jedes
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