Am Strand des Todes
hatte gestürmt,
und Whalen war den ganzen Tag über verschwunden gewesen.
Und dann jene Nacht, in der das Boot der Hortons auf die
Klippen lief… Fieberhaft versuchte er sich zu erinnern, wo sich
Harney Whalen in jedem dieser Fälle eigentlich befunden
hatte. Angeblich bei sich zu Hause… Doch dafür gab es
natürlich keine Zeugen.
Chip nahm sich vor, mit Dr. Phelps zu sprechen. Im
Augenblick behielt er seinen Verdacht aber noch für sich.
Schließlich war Brad Randall ein Fremder
– und Harney
Whalen sein Onkel. Trotz allem schien es ihm auch jetzt noch
selbstverständlich, daß die Einheimischen in Clark’s Harbor
zusammenhielten.
28
Ein leichter Nieselregen fiel vom Himmel über der Olympic
Halbinsel, als auf dem kleinen, Clark’s Harbor überblickenden
Friedhof Rebecca Palmer zur letzten Ruhe gebettet wurde.
Keiner der Trauergäste schien ihn wahrzunehmen.
Lucas Pembroke schloß die Bibel und rezitierte die Gebete
für die Dahingeschiedene aus dem Gedächtnis.
Er hatte die Augen geschlossen; nicht nur aus Ehrerbietung
gegenüber der Toten, sondern um sich seine innere Erregung
nicht anmerken zu lassen.
»Asche zu Asche und Staub zu Staub…«
Während die Worte monoton seine Lippen verließen, fragte
er sich, wie lange er wohl noch die abweisende Kälte dieser
kleinen Gemeinde ertragen könnte. Wie konnten soviel
Unglück und so viele Tote völlig wirkungslos an den hier
Lebenden vorübergehen? War seine ganze Arbeit hier nicht
völlig sinnlos?
Glen Palmer stand barhäuptig im leichten Regen und drückte
die beiden Kinder an sich, flankiert von Elaine und Brad
Randall. Als der Sarg langsam ins offene Grab gesenkt wurde,
begann Missy leise zu schluchzen. Elaine kniete sich sofort
neben sie und nahm sie in die Arme. Robby stand zuerst noch
wie erstarrt, doch als dann der Sarg in der Erde verschwand,
stahl sich eine Träne aus seinem Auge und lief langsam über
seine Wange.
Wenige Schritte vom Grab entfernt sah man den nervös an
seinen Handschuhen fingernden Chip Connor mit seinem
Großvater Mac Riley. Immer wieder blickte Chip unruhig zu
seinem neuen Freund hinüber. Wie gern hätte er ihn getröstet.
Glens Augen waren starr auf den Sarg seiner Frau gerichtet,
das Gesicht gezeichnet von der Qual seines Verlustes.
Etwas abseits standen Merle Glind und die Bibliothekarin,
die Köpfe eng unter einer auseinandergefalteten Zeitung
zusammengedrängt. Neugierig registrierten sie die Reaktionen
der kleinen Trauergemeinde
– Stoff für den Klatsch der
kommenden Tage in Clark’s Harbor.
Nachdem Reverend Pembroke seine Gebete beendet hatte
und die erste Schaufel Erde auf den Sarg hinabfallen ließ,
meinte er in einem der Bäume hinter der Friedhofsmauer eine
Bewegung zu sehen. Doch vielleicht hatte er sich auch
getäuscht. Er trat zur Seite, um die Angehörigen ans offene
Grab treten zu lassen.
Missys Schluchzen durchschnitt die kalte Luft; Elaine
konnte nicht mehr tun, als das kleine Mädchen tröstend an sich
zu drücken. Auch in ihren Augen standen Tränen. Robby
blickte plötzlich zu seinem Vater auf und versuchte etwas zu
sagen. »Ich…, ich…« Alles übrige ging in einem
Tränenschwall unter. Glen beugte sich zu ihm hinab und
drückte sein Gesicht gegen die feuchten Wangen seines
Sohnes.
»Ist ja gut, mein Junge«, flüsterte er, »alles wird wieder
gut…«
Er drückte ihm die kleine Schaufel mit der feuchten Erde in
die Hand, und dann standen Vater und Sohn nebeneinander,
um gemeinsam vom Liebsten, was sie hatten, Abschied zu
nehmen.
»Mein tief empfundenes Beileid«, sagte Chip und drückte Glen
lange die Hand. »Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann – ich
würde alles für Sie tun…«
»Finden Sie heraus, wer das getan hat«, murmelte Glen, »ich
will wissen, wer sie getötet hat.«
Chip warf Brad einen raschen Seitenblick zu, aber dieser
schüttelte unmerklich den Kopf. Es war besser, wenn sie
vorläufig noch Brads Vermutungen für sich behielten.
»Wir geben uns alle Mühe«, versuchte Chip ihn zu
beruhigen.
»Vielen Dank, daß Sie gekommen sind«, sagte Glen, ohne
weiter darauf einzugehen, »ich hatte kaum damit gerechnet,
nach dem, was Whalen sich gestern mir gegenüber geleistet
hat.«
»Harney hat seine eigene Sicht der Dinge«, erwiderte Chip.
»Ich habe Sie gefragt, was Sonntag nacht geschehen ist, und
Sie haben es mir gesagt. Ich glaube Ihnen und habe keinen
Grund, meine Meinung zu ändern.«
Es trat eine etwas peinliche Stille ein, die Elaine mit einem
Lächeln zu durchbrechen
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