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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Dämon, den er vorhin, als er fürchtete, die Geduld zu verlieren, noch im Zaum gehalten hatte. Welch eine Verlok-kung, ihm nachzugeben, jetzt, wo er allein war, ihn toben zu lassen. Seine Selbstachtung verlangte angesichts einer solchen Demütigung geradezu danach. Und was war schlimm am bloßen Gedanken? Besser, ihn zulassen, noch während er hier stand, halb nackt inmitten der Trümmer seiner Hochzeitsnacht. Die so plötzlich versiegte Begierde erleichterte die Kapitulation. Da seine Gedanken nicht länger von Sehnsucht betäubt oder verzerrt wurden, konnte er diese Beleidigung nun mit forensischer Objektivität sezieren. Und was war das für eine ungeheure Beleidigung, welche Verachtung hatte sie nicht mit ihrem angewiderten Aufschrei bewiesen, ihrem Theater mit dem Kissen, dann auch noch der Stich ins Herz, als sie ohne ein Wort aus dem Zimmer gerannt war, ihn in Schmach und Schande mit der Last des Versagens zurückließ. Sie hatte alles getan, um es noch schlimmer, um eine Versöhnung unmöglich zu machen. Sie verachtete ihn, wollte ihn bestrafen, ließ ihn allein, damit er über seine Unzulänglichkeiten nachdachte, ohne auch nur einen Gedanken auf ihre eigenen Fehler zu verschwenden. Zweifellos war es die Bewegung ihrer Hand gewesen, ihrer Finger, die ihn hatte kommen lassen - bei der Erinnerung an diese Berührung, dieses herrliche Gefühl, begann ihn heiße, frisch aufkeimende Erregung abzulenken, ihn von seinen verbitterten Gedanken fortzulocken, doch er widerstand der Versuchung, Florence zu verzeihen. Er hatte sein Thema gefunden und ließ nicht locker. Er spürte, daß ihn noch Wichtiges erwartete, und da war es auch schon, endlich, er stieß zu ihm vor wie ein Bergarbeiter, der durch die Felswand in einen breiteren Tunnel dringt, einen düsteren Stollen, breit genug für seine wachsende Wut.
    Deutlich sah er alles vor sich; was war er doch für ein Idiot, daß er nicht früher darauf gekommen war. Geduldig hatte er ein ganzes Jahr lang alle Qualen ertragen, hatte sich nach ihr gesehnt, hatte gelitten und dabei doch nur so wenig gewollt, etwas lächerlich Unschuldiges wie einen echten Kuß oder daß sie ihn berührte, sich von ihm berühren ließ. Ihr Eheversprechen war seine einzige Hoffnung gewesen. Und was für Vergnügungen hatte sie ihnen verwehrt! Selbst wenn sie erst nach der Heirat miteinander schliefen, wäre eine solche Tortur, eine solche Marter der Enthaltsamkeit nicht nötig gewesen. Er hatte Geduld bewiesen, sich nicht beklagt -ein höflicher Narr. Andere Männer hätten mehr verlangt oder sie verlassen. Und wenn er, nach einem Jahr der Selbstbeherrschung, sich nicht länger zurückhalten konnte und im entscheidenden Moment versagte, dann weigerte er sich, dafür die Verantwortung zu tragen. Ganz genau. Er wies diese Demütigung zurück, erkannte sie nicht an. Es war einfach empörend, daß sie vor Enttäuschung aufschrie und aus dem Zimmer lief, obwohl sie allein die Schuld trug. Er mußte sich anscheinend mit der Tatsache abfinden, daß sie keine Küsse, keine Berührungen mochte, daß es ihr nicht gefiel, wenn ihre Körper beieinanderlagen, daß sie kein Interesse an ihm hatte. Sie war gefühllos, völlig ohne Verlangen. Sie würde niemals spüren können, was er empfand. Die nächsten Schlüsse zog Edward mit fataler Leichtigkeit: Sie hatte all das gewußt - wie denn auch nicht? -, und sie hatte ihn getäuscht. Aus Gründen der Ehrbarkeit wollte sie einen Ehemann, um ihren Eltern einen Gefallen zu tun, oder weil alle Frauen einen suchten. Vielleicht hielt sie das Ganze auch für ein aufregendes Spiel. Sie liebte ihn nicht, konnte ihn nicht so lieben, wie sich Männer und Frauen liebten, und sie hatte es gewußt und ihm verschwiegen. Falsch, das war sie.
    Es war nicht leicht, barfuß und in Unterwäsche zu derart unangenehmen Wahrheiten vorzudringen. Also zog er sich die Hose an, griff nach Sok-ken und Schuhen und sagte sich dabei noch einmal alles vor, schliff an den rauhen Kanten, feilte an den schwierigen Übergängen, den Brücken, die sich über seine Zweifel schwangen, bis alles hieb- und stichfest war. Dabei spürte er, wie seine Wut brodelte, sich ihrem Siedepunkt näherte, doch blieb sie bedeutungslos, solange sie nicht in Worte gefaßt wurde. Das sollte sich ändern. Florence mußte wissen, was er fühlte und dachte; es mußte ihr gesagt werden, er wollte es ihr zeigen. Also schnappte er sich seine Jacke vom Stuhl und eilte aus dem Zimmer.

Fünf
    Sie sah ihn über den Strand

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