Am Tor Zur Hoelle
den Leuten, von denen ich mir Geld lieh, denn ich lieh mir stets mehr, als ich zurückzahlen konnte. Mein Leben geriet mir völlig auÃer Kontrolle. Und doch zeigte sich eine merkwürdige Kontinuität darin. Das Militär war eine natürliche Fortführung der Misshandlungen und der Vernachlässigung, die ich als Kind erlebt hatte.
Um meine zunehmend ausweglose Lage zu verändern, meldete ich mich freiwillig zum Einsatz in Vietnam. Anfangs hieà es, ich könne nicht gehen, weil ich zu jung sei. Ich blieb hartnäckig. Ich musste dem Schlamassel entrinnen, den ich angerichtet hatte. Dann hieà es, ich solle einen Aufsatz über die Frage schreiben, warum ich nach Vietnam gehen wollte, und wenn die Argumentation überzeugend sei, würde ich hingeschickt. Das war 1966. Der Krieg eskalierte, die Gefechte wurden schwerer und verlustreicher, und sie brauchten mehr Soldaten. AuÃerdem glaube ich, dass die Einheit, bei der ich stationiert war, froh war, mich loszuwerden. Ich war beileibe kein unproblematischer Soldat â ich war ständig betrunken und zertrümmerte Fensterscheiben und schlug sonstwie über die Stränge. Heute verstehe ich, warum ich über die Stränge schlug. Ich agierte all die Ursachen und Bedingungen meines Lebens aus â mein Leiden. Aber die Armee war nicht der rechte Ort dafür; dort scherte man sich nicht um einen jungen Mann, der nicht mit sich zurechtkam. Dort war niemand, der gesagt hätte: »He, mit diesem Jungen stimmt was nicht. Er braucht Hilfe.«
In Vietnam war ich unmittelbar für den Tod vieler, vieler Menschen verantwortlich. Doch ich betrachtete das, was ich tat, nicht als das Töten von Menschen. Das Ziel meiner Ausbildung war es gewesen, den Feind zu entmenschlichen, und dieses Ziel war erreicht worden.
Ich kapierte nicht, dass ich erschossen
werden konnte
Anfangs war ich beim 90. Reservebataillon in Tan San Nhut stationiert, und zwar für etwa zehn Tage. Jeden Morgen traten wir zum Appell an und zählten durch. Dann hieà es: Okay, die mit der Nummer eins gehen hierhin, die mit der Nummer zwei dorthin, die mit der Nummer drei machen dieses, der Rest jenes. Am zehnten Tag wurden alle, die die Nummer drei hatten, zur Kampfhubschrauber-Einheit beordert, um Bordschützen im Helikopter zu werden. An dem Tag war ich eine Nummer drei, also wurde ich Bordschütze. »Packt eure Sachen«, hieà es, »hier sind eure Befehle. Trefft euch dort drüben. Dort wird man euch sagen, wo es hingeht.« Es blieb keine Zeit zum Nachdenken, keine Zeit, um zu begreifen, was da eigentlich geschah.
In Phu Loi, in der Nähe von Saigon, wurde ich der 116. Kampfhubschrauberkompanie zugewiesen. Ich wurde in die Kaserne geschickt und bekam eine Pritsche und einen Platz für meine Sachen zugewiesen, und dann wurde ich dem Einsatzleiter vorgestellt, mit dem ich fliegen würde. Er zeigte mir, wo das Waffenarsenal war, der Ort, an dem das Handwerkszeug meines neuen Gewerbes aufbewahrt wurde. M-60 (Kaliber 7,62 mm/ .30-06), Maschinengewehre. Er zeigte mir auch, wie die Waffen gereinigt werden. Dann nahm er mich mit zum Hubschrauber und zeigte mir, wie die Gewehre in Position gebracht und geladen werden, und klärte mich über meine weiteren Verantwortlichkeiten zu Boden und in der Luft auf. Dann meinte er: »Heute Nachmittag fliegen wir eine einfache kleine Tour. Wir holen die Post ab und bringen ein paar Leute auf Urlaub nach Tan San Nhut Bien.«
Sobald wir abhoben, bestand meine Aufgabe darin, Obacht zu geben, ob die Luft auf der linken Seite rein war, und dem Piloten Bescheid zu sagen, wenn sich ein Flieger näherte. Ich hatte keine Ahnung, was ich da eigentlich tat. Ich hatte keinen blassen Schimmer. Ich kapierte nicht, dass ich erschossen werden konnte. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich da eigentlich tat â ich wusste nur, dass ich Angst hatte und durcheinander war und dass beides nicht hätte sein dürfen. Da ich nicht in der Lage war, wirklich etwas zu fühlen, verfiel ich in einen Zustand der Fühllosigkeit oder besser gesagt, in einen emotionalen, spirituellen, psychischen Schockzustand.
An jenem ersten Tag wollten wir einfach nur die Post abholen, doch wir wurden in Kampfhandlungen verwickelt. An diesem ersten Tag, an dem ich im Hubschrauber flog, gerieten wir in schwerste Gefechte. Ich war verwirrt und völlig verstört. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich eine gröÃere
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