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Am Tor Zur Hoelle

Am Tor Zur Hoelle

Titel: Am Tor Zur Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anshin Thomas
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Umfeld einzufügen. Zum einen, weil ich mich so anders fühlte; zum anderen, weil die Menschen zu Hause kein Interesse daran zeigten, mich oder andere Soldaten wieder zu integrieren. Wir wurden emotional, psychisch und sogar physisch auf Distanz gehalten. Wir wurden ganz klar an den Rand gedrängt. Ich verstand das, ich konnte es spüren und schmecken, aber ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Zu jener Zeit war der Krieg in meinen Gedanken allgegenwärtig. Alles, womit ich in Berührung kam, erinnerte mich an den Krieg. Ich konnte nicht mehr schlafen. Wenn ich versuchte, mit anderen Menschen darüber zu sprechen, sagten sie bloß: »Der Krieg ist vorbei – vergiss ihn. Leb dein Leben und blick in die Zukunft. Es ist vorbei. Du hast überlebt.« Doch das konnte ich nicht. Also fing ich an, Drogen zu nehmen, um meine Einsamkeit oder die Zurückweisung, die ich erfuhr, zu kaschieren; um die Erinnerungen abzumildern, um den Geräuschen, den Gesichtern, den Gerüchen zu entgehen, die an mir hingen wie Stinktiersekret in heißer, verpesteter Nachtluft.
    Als ich aus Vietnam zurück und aus dem Militärkrankenhaus entlassen worden war, wollte ich wieder so sein, wie ich vorher gewesen war. Ich wollte wieder siebzehn Jahre alt sein und ein ganz normales Leben führen. Das war unmöglich. Ich fügte mich nicht länger ein. Es gab keinen Platz für mich in der Gesellschaft. Ich war zu einem Killer ausgebildet worden, und man hatte mich nie darin unterstützt, etwas anderes als ein Killer zu werden. Nun war ich einfach freigesetzt, mir selbst überlassen.
    Während meines Krankenhausaufenthaltes hatte ich Genesungsurlaub und kehrte in meine Heimatstadt zurück. Mein Oberkörper war in Gips. Zu Hause besuchte ich ein Footballspiel. Ich stand in der Nähe des einen Tores und verfolgte das Spiel, und plötzlich warf jemand einen Knallfrosch. Ich warf mich instinktiv zu Boden. Die Leute um mich herum lachten. Ich mühte mich, wieder auf die Füße zu kommen, was nicht so einfach war wegen des Gipsverbandes. Schließlich gelang es mir, und ich lief voller Panik und Beschämung davon. Es war das Lachen – das Gelächter war schmerzhafter als die Kugeln. Und ich lief und lief und lief; ich versuchte, vor meinen Gefühlen davonzulaufen, mich in Sicherheit zu bringen. Erst im Jahre 1983 hielt ich in meinem Laufen inne.
    Mein Laufen nahm viele verschiedene Formen an. Ich lief, indem ich Drogen nahm; ich lief, indem ich Alkohol trank; ich lief, indem ich Zigaretten rauchte; ich lief, indem ich Sex hatte; ich lief, indem ich von einem Ort in den nächsten zog. Ich blieb nie länger als sechs Monate an ein und demselben Ort, denn ich konnte es nicht ertragen, dass mir jemand nahe kam, mich kennen lernte. Denn würde man mich kennen, würde man mich verabscheuen. Die Botschaft war klar – ich empfing sie tagtäglich: Weil ich Soldat in Vietnam gewesen war, war ich nichts wert.
    Als ich nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus auf dem Weg nach Hause war, musste ich auf dem Flughafen von Newark, New Jersey, umsteigen. Ich war neunzehn Jahre alt, ein hochdekorierter Soldat. Ich verspürte so etwas wie Stolz, ich wollte stolz sein. Ich glaubte an die amerikanische Propaganda, die Kriegsfilme – wenn ich als Kriegsheld heimkehrte, würden die Menschen mich lieben, Jobangebote würden mich erwarten, die Frauen würden verrückt nach mir sein. Als ich durch das Flughafengebäude ging in meiner Uniform, mit all den Orden, näherte sich mir eine junge Frau. Ich dachte, sie wolle mir danken oder mir sagen, wie sehr sie mich schätze. Ich dachte, dass sie die Arme um mich schlingen und mich innig küssen werde – so hatte ich es in vielen Kriegsfilmen gesehen, und ich war sehr aufgeregt. Doch als sie ganz nahe war, spuckte sie mich an. Das hat mich tiefer getroffen als jeder Messerstich. Und ich bin sicher, dass sie ihr Tun für gerechtfertigt hielt. Ich bin sicher, dass sie das, was sie tat, für richtig hielt. Auch in einer solchen Tat liegt die Saat des Krieges. Ich weiß nicht, warum ich nicht gewalttätig auf sie reagierte, warum ich sie nicht auf der Stelle tötete. Ich denke, es war auf meine Verwirrung insgesamt zurückzuführen. Stattdessen ging ich in die nächste Bar und betrank mich. Ich blieb bis 1983 betrunken.
    Nach dem Krieg machte ich einen weiteren Krieg durch, und zwar als Überlebender

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