Am Ufer der Traeume
Zündplättchen. Sie würde sich nicht kampflos ergeben. Wenn Bryan nicht kam, wollte der Herrgott nicht, dass sie weiterlebte, und sie würde freiwillig den Tod suchen. Wenn dieser Weg der einzige war, der zu ihrem geliebten Bryan führte, wollte sie ihn gehen. Sie war beinahe zu einem Lächeln fähig, als sie daran dachte, was der Reporter des
Alamo Star
schreiben würde, wenn sie auf einen gefürchteten Häuptling der Comanchen feuerte: »Molly Campbell starb einen heldenhaften Tod.«
Der dritte Morgen dämmerte herauf und Molly stand langsam auf. Sie wechselte einen Blick mit dem Oldtimer, der nachdenklich auf dem Bettrand saß und beide Krücken in den Händen hielt, griff nach der Sharps und öffnete die Tür.
Die ersten Sonnenstrahlen trafen ihr Gesicht und ließen sie blinzeln. Lauer Wind aus dem Süden raschelte im Mesquite und berührte ihre Wangen. Der Duft von frischem Salbei stieg ihr in die Nase. Irgendwo krächzte ein Rabe.
Sie blieb stehen und wartete darauf, die strenge Stimme des Comanchen zu hören. Stattdessen sah sie den jungen Mann aus dem Sattel steigen, von dem sie die vergangenen Monate geträumt hatte, und war sprachlos vor Erstaunen, als er sagte: »War nicht schwer, dich zu finden, Little Red. Jedes Kind spricht von der tapferen Frau auf einer Postkutschenstation mitten im Comanchenland. Ich hoffe, du hast noch Platz in deiner Hütte für einen Gelegenheitsdieb aus dem fernen New York?«
Molly hatte Mühe, ihre Freude zu verbergen. »Du hast dir mächtig viel Zeit gelassen, Blue Eyes! Wo hast du die ganze Zeit gesteckt? Während ich durch den halben Westen fahre und mich mit feindlichen Indianern herumschlagen muss, hast du wahrscheinlich in einem Pub gesessen. Kümmere dich gefälligst um die Pferde!« Sie lachte. »Ach, was! Komm her und gib mir endlich einen Kuss oder muss ich dir erst meine Sharps unter die Nase halten?«
Sie lachten beide und fielen einander in die Arme. Die Sharps polterte zu Boden und sie küssten und liebkosten sich und standen noch eng umschlungen vor dem Haus, als die Sonne längst aufgegangen und der Oldtimer verwundert in die offene Tür getreten war. Nur er sah den einsamen Reiter mit der Adlerfeder in den Haaren, der sein Pferd über die Hügel lenkte und in die aufgehende Sonne galoppierte.
Thomas Jeier
Thomas Jeier wuchs in Frankfurt am Main auf und lebt heute bei München und »on the road« in den USA und Kanada. Mit seinen Romanen und Sachbüchern, die in über zwanzig Sprachen übersetzt wurden, hat er bei Erwachsenen und Jugendlichen großen Erfolg. Er erhielt mehrere Preise, darunter den Friedrich-Gerstäcker-Preis für das beste Abenteuerbuch des Jahres, den Elmer-Kelton-Award und eine Auszeichnung der texanischen Regierung. Für seinen Roman »Sie hatten einen Traum«, der 2003 bei Ueberreuter erschien, wurde er für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Unter www.jeier.de ist der Autor auch im Internet vertreten.
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Vollständige E-Book-Ausgabe der 2012 im Ueberreuter Verlag erschienenen Buchausgabe.
ISBN E-Book 978-3-7090-0123-3
ISBN Printausgabe 978-3-8000-5688-0
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