Am Ufer
träumen.«
Der vom Laternenlicht gelb gefärbte Nebel verhüllte die andere Seite des Platzes.
Ich atmete tief ein. Die Sache duldete keinen Aufschub mehr.
»Wir wollten über die Liebe sprechen«, fuhr ich fort. »Es läßt sich nicht mehr vermeiden. Du weißt, wie es mir in den letzten Tagen ergangen ist.«
›Wäre es nach mir gegangen, dieses Thema wäre nie zur Sprache gekommen. Aber da es nun mal so ist, geht es mir nicht aus dem Sinn.‹
»Lieben ist gefährlich.«
»Ich weiß«, antwortete ich. »Ich habe schon geliebt. Lieben ist wie eine Droge. Anfangs beschert sie einem Hochgefühl, völlige Hingabe. Am Tag darauf willst du noch mehr. Du bist zwar noch nicht süchtig, doch das Gefühl hat dir gefallen, und du glaubst, es kontrollieren zu können. Du denkst drei Minuten an den geliebten Menschen, doch dann vergißt du ihn drei Stunden lang. Doch ganz allmählich gewöhnst du dich an diesen Menschen und wirst vollkommen abhängig von ihm. Dann denkst du drei Stunden an ihn und vergißt ihn für drei Minuten. Ist er nicht bei dir, verspürst du die gleichen Entzugserscheinungen wie die Drogensüchtigen. Und genau wie die Drogensüchtigen, die stehlen und sich erniedrigen, um das zu bekommen, was sie brauchen, bist auch du gewillt, alles für die Liebe zu tun.«
»Was für ein gräßliches Beispiel«, sagte er.
Es war wirklich ein gräßliches Beispiel, das nicht zum Wein, zum Brunnen, zu den mittelalterlichen Häusern am Platz paßte. Wenn er so viele Schritte um der Liebe willen unternommen hatte, mußte er die Gefahren kennen.
»Deshalb müssen wir jemanden lieben, den wir in unserer Nähe haben können«, schloß ich.
Er blickte lange in den Nebel. Offenbar war er nicht mehr auf die gefährlichen Fahrwasser eines Gespräches über die Liebe erpicht. Ich war hart, doch es ging nun einmal nicht anders.
›Lassen wir es dabei bewenden‹, dachte ich. ›Drei Tage Zusammenleben und dazu noch die peinliche Tatsache, daß er mich immer in denselben Kleidern sah, haben ihn wieder zur Räson gebracht.‹ Ich war zwar in meinem weiblichen Stolz gekränkt, doch mein Herz schlug leichter.
›Aber will ich das überhaupt?‹
Denn ich verspürte bereits die Stürme, die der Wind der Liebe heranträgt. Ich bemerkte, daß es in der Mauer des Staudamms ein Loch gab.
Wir saßen lange dort und tranken, doch wir sprachen nicht über ernste Dinge. Wir unterhielten uns über die Besitzer des Hauses, in dem wir übernachteten, und den Heiligen, der diese Stadt gegründet hatte. Er erzählte mir ein paar Legenden über die Kirche auf der anderen Seite des Platzes, die ich wegen des dichten Nebels nicht erkennen konnte.
»Du bist zerstreut«, sagte er irgendwann.
Ja, meine Gedanken schweiften. Ich hätte gern dort mit jemandem gesessen, der mein Herz in Frieden ließ, mit jemandem, mit dem ich diesen Augenblick ohne die Angst erleben konnte, ihn am nächsten Tag zu verlieren. Dann würde die Zeit nicht so rasen, wir könnten einfach schweigen, da wir ja das restliche Leben noch vor uns hätten, um miteinander zu reden. Ich müßte mir nicht über ernste Dinge den Kopf zerbrechen, schwierige Entscheidungen treffen, harte Worte aussprechen.
Wir schweigen. Das ist ein Zeichen. Das erste Mal schweigen wir einfach, obwohl es mir erst jetzt bewußt wird, als er sich erhebt, um noch eine Flasche Wein zu holen.
Wir schweigen. Ich lausche dem Knirschen seiner Schritte, die zum Brunnen zurückkehren, wo wir seit über einer Stunde sitzen, trinken und in den Nebel blicken.
Das erste Mal schweigen wir wirklich. Es ist nicht dieses beklemmende Schweigen wie im Auto auf dem Weg von Madrid nach Bilbao. Es ist nicht das Schweigen meines beklommenen Herzens, in der Kapelle in der Nähe von San Martin de Unx.
Seine Schritte halten inne. Er blickt mich an – es muß schön sein, was er jetzt sieht: eine Frau, die an einem Brunnen sitzt, eine neblige Nacht im Laternenschein.
Die mittelalterlichen Häuser, die Kirche aus dem 11. Jahrhundert und die Stille.
Die zweite Flasche Wein ist halb leer, als ich zu reden anfange: »Heute morgen war ich schon fast davon überzeugt, Alkoholikerin zu sein. Ich trinke den ganzen Tag. In diesen drei Tagen habe ich mehr getrunken als im ganzen letzten Jahr.«
Er streicht mir wortlos über den Kopf. Ich spüre die Berührung und schiebe seine Hand nicht weg.
»Erzähl mir etwas über dein Leben«, bitte ich ihn.
»Da gibt es keine großen Geheimnisse. Es gibt meinen Weg, und ich tue alles,
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