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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo
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Tränen.
    »Und ich werde an deiner Seite sitzen bleiben, solange du an diesem Fluß sitzt. Und wenn du schläfst, werde ich vor deinem Haus schlafen. Und wenn du weit weg reist, dann werde ich dir folgen.
    Bis du zu mir sagst: ›Geh.‹ Dann gehe ich. Doch ich werde dich bis an mein Lebensende lieben.«
    Ich konnte mein Weinen nicht mehr verbergen. Ich sah, daß auch er weinte.
    »Ich möchte, daß du eines weißt…«, begann er.
    »Sag nichts. Lies«, antwortete ich und reichte ihm die Seiten, die auf meinem Schoß lagen.
    Den ganzen Nachmittag lang blickte ich auf das Wasser des Rio Piedra. Die Frau brachte uns belegte Brote und Wein, machte irgendeine Bemerkung zum Wetter und ließ uns wieder allein. Immer wieder hielt er im Lesen inne und schaute gedankenverloren zum Horizont.
    Irgendwann beschloß ich, einen Spaziergang im Wald zu machen, an den kleinen Wasserfällen vorbei, entlang den Hängen voller Geschichte. Als die Sonne unterzugehen begann, kehrte ich an den Platz zurück, an dem ich ihn verlassen hatte.
    »Danke«, waren seine ersten Worte, als er mir die Seiten zurückgab. »Und verzeih mir.«
    An den Ufern des Rio Piedra saß ich und lächelte.
    »Deine Liebe rettet mich und gibt mir meine Träume zurück«, fuhr er fort.
    Ich schwieg, saß reglos da.
    »Kennst du den 137. Psalm?« fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte Angst davor, etwas zu sagen.
    »An den Ufern zu Babylon…«
    »Doch, ja, ich kenne ihn«, sagte ich und spürte, daß ich ganz allmählich ins Leben zurückkehrte. »Er handelt vom Exil. Er erzählt von den Menschen, die ihre Harfen an die Bäume hängen, weil sie die Musik nicht mehr spielen können, die ihr Herz verlangt.«
    »Doch nachdem der Sänger der Psalmen vor Sehnsucht nach dem Land seiner Träume geweint hat, verspricht er sich selbst:
    Vergesse ich dich, Jerusalem,
    so verdorre meine Rechte.
    Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben,
    wenn ich deiner nicht gedenke, Jerusalem.«
    Ich lächelte wieder.
    »Ich hatte ihn fast vergessen. Und du erinnerst mich wieder daran.«
    »Glaubst du, daß deine Gabe zurückkehrt?« fragte ich.
    »Ich weiß es nicht. Doch Gott gibt einem im Leben immer eine zweite Chance. Er gibt sie mir durch dich. Und er wird mir helfen, meinen Weg wiederzufinden.«
    »Unseren Weg«, fiel ich ihm ins Wort.
    »Ja, unseren Weg.«
    Er nahm mich bei den Händen und zog mich hoch.
    »Hol deine Sachen«, sagte er. »Träume machen Arbeit.«
    Januar 1994

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