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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo
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die Gemüter zu beruhigen. Schließlich sagte jemand, daß es schon spät sei und der Wirt das Restaurant schließen wolle.
    »Fünf Feiertage liegen vor uns«, rief jemand von einem anderen Tisch herüber. »Der Wirt will nur das Restaurant schließen, weil ihr über so ernste Dinge redet!«
    Alle lachten – nur er nicht.
    »Und wo sollen wir dann über ernste Dinge reden?« fragte er den Betrunkenen vom anderen Tisch.
    »In der Kirche!« sagte der Betrunkene. Und diesmal lachte das ganze Restaurant.
    Da stand er auf. Ich dachte, er wolle sich mit ihm prügeln, weil wir alle wieder zu Jugendlichen geworden waren, und in der Jugend hatten Schlägereien zur Nacht gehört wie auch Küsse, an verbotenen Orten ausgetauschte Zärtlichkeiten, laute Musik und halsbrecherische Fahrten.
    Doch er nahm mich nur bei der Hand und ging zur Tür.
    »Es ist besser, wir gehen«, sagte er. »Es ist schon spät.«
    Regnet es in Bilbao, regnet es überall. Wer liebt, muß sich verlieren und sich wiederfinden können. Ihm gelingt es in diesem Augenblick, beides in sich zu vereinigen. Er ist fröhlich und singt, während wir zum Hotel zurückgehen.
    Son locos que inventaron el amor. Verrückt sind, die die Liebe erfanden.
    Obwohl ich noch den Wein spüre und die Farben kräftiger sehe, finde ich allmählich mein Gleichgewicht wieder. Ich muß mich wieder in den Griff bekommen, weil ich die Reise mit ihm machen möchte. Es wird einfach sein, die Kontrolle nicht zu verlieren, denn ich bin nicht verliebt. Wer sein Herz im Zaume hält, kann die Welt erobern.
    Con un poema, y un trombon a develarte el corazon. Mit einem Gedicht und einer Posaune rauben sie dem Herzen den Schlaf, lautet der Text des Liedes weiter.
    ›Ich möchte mein Herz einmal nicht im Griff haben‹, denke ich. Würde es mir gelingen, mich einmal, wenn auch nur für ein Wochenende, hinzugeben, würde dieser Regen auf meinem Gesicht anders schmecken. Wenn lieben so einfach wäre, würden wir einander jetzt in den Armen liegen, und die Worte dieses Liedes würden unsere Geschichte erzählen. Müßte ich nach den Feiertagen nicht nach Saragossa, wünschte ich, die Wirkung des Weins möchte niemals aufhören, und ich würde mich frei fühlen, ihn zu küssen, ihn zu liebkosen, die Dinge zu sagen und zu hören, die sich Liebende sagen.
    Aber nein. Ich kann nicht.
    Ich will nicht.
    Salgamos a volar, querida mia, laß uns fliegen, meine Liebste, lautet der Text weiter. Ja, laß uns fliegen, aber zu meinen Bedingungen.
    Er weiß noch nicht, daß ich seine Einladung annehmen werde. Warum will ich dieses Risiko eingehen? Weil ich in diesem Augenblick betrunken bin und das ewig gleiche Einerlei meines Lebens satt habe.
    Doch dieser Überdruß wird vergehen. Ich werde bald wieder nach Saragossa zurückkehren wollen, der Stadt, in der ich leben wollte. Mein Studium wartet auf mich, das Examen zur Aufnahme in den öffentlichen Dienst. Mich erwartet ein Ehemann, den ich noch finden muß, und das wird nicht leicht sein.
    Mich erwartet ein ruhiges Leben mit Kindern und Enkeln, ohne Schulden und mit Urlaub einmal im Jahr. Ich kenne seine Ängste nicht, doch meine kenne ich wohl. Ich brauche keine neuen Ängste – die, die ich habe, reichen mir schon.
    Ich könnte mich niemals in jemanden wie ihn verlieben. Ich kenne ihn viel zu gut, wir haben viel Zeit miteinander verbracht, ich kenne seine Schwächen und seine Ängste. Ich kann ihn nicht so rückhaltlos bewundern wie die anderen.
    Ich weiß, daß die Liebe wie ein Staudamm ist: Läßt man nur den geringsten Haarriß zu, durch den das Wasser dann dringt, wird der Damm irgendwann brechen, und niemand wird die Gewalt der Wassermassen kontrollieren können.
    Wenn die Wände einstürzen, überschwemmt die Liebe alles. Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob etwas möglich oder unmöglich ist, dann geht es nicht mehr darum, ob wir den geliebten Menschen an unserer Seite halten können – lieben heißt die Kontrolle verlieren.
    Nein, ich darf nicht zulassen, daß sich ein Spalt bildet. Auch kein noch so winziger.
    »Moment mal!«
    Er hörte sofort auf zu singen. Schnelle Schritte hallten auf dem nassen Boden wider.
    »Warten Sie!« rief ein Mann. »Ich muß Sie unbedingt sprechen!«
    Doch er beschleunigte seinen Schritt.
    »Der meint nicht uns«, sagte er. »Laß uns zum Hotel gehen.«
    Wir waren aber gemeint: Außer uns war niemand auf der Straße. Mein Herz begann zu jagen, ich war plötzlich ganz nüchtern. Mir fiel ein, daß Bilbao ja im

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