Ambient 02 - Heidern
und einem kasachischen Regisseur an einem niemals realisierten Filmprojekt gearbeitet. 1996 kehrte ich nach Moskau zurück und besuchte St. Petersburg, um für die Zeitschrift SPIN über die damaligen Wahlen zu berichten.
F: Ihr erster Besuch war Anregung für ›Let's Put …‹; war vier Jahre später eine signifikante Veränderung in Rußland auszumachen?
A: Zuerst einmal gab es eine Unzahl kleiner Veränderungen an der Oberfläche, die Moskau ganz neu und fremd erscheinen ließen. Bei meinem ersten Besuch fühlte ich mich wie in einem Paralleluniversum, 1996 dagegen wie zu Gast im 21. Jahrhundert – kommt allerdings ganz darauf an, was man sich von diesem neuen Jahrhundert erhofft und erwartet. Direkt am Rand des Kremls wird ein Supermarkt mit drei Tiefgeschossen fertiggestellt. Die Hälfte der Wagen auf Moskaus Straßen sind inzwischen BMWs oder Mercedes. Aber das Leben der meisten Russen wird schlechter und schlechter. Einmal verließ ich mehr aus Versehen die Hauptstraßen und geriet in eine Gasse, die ich erst für eine Sackgasse hielt, weil sie teilweise überbaut war. Plötzlich fand ich mich zwischen Reihen von nicht mehr ganz jungen, manchmal schon sehr alten Frauen wieder, von denen eine jede etwas zum Verkauf feilbot – Socken, eine Flasche Bier, Puppen. ›Tragisch‹ ist ein zu verbrauchtes und harmloses Wort, um das heutige Leben der normalen Russen zu beschreiben. Und es wird nicht besser, im Gegenteil.
Jenen im kriminellen Milieu dagegen, soll heißen: in Regierung und Wirtschaft, geht es blendend. Während meines Besuchs schien es der letzte Schrei unter Moskaus Ganoven gewesen zu sein, Anzüge in schreienden Farben zu tragen, Farben, die man im Westen gar nicht für Anzugstoffe bekommt – knallgelb, purpur, türkis. Volle Kanne Dick Tracy. Ich kam mir vor wie in einem meiner Bücher. Erschreckend war bloß, daß ich dorthin zu gehören schien – ein Verdacht, den ich schon lange hegte. Wenn es nach mir geht, fahre ich nie wieder nach Moskau.
F: Sind Sie in Sachen Verfilmung Ihrer Bücher engagiert?
A: Ich würde niemals den Versuch unternehmen, aus meinen Romanvorlagen ein Drehbuch zu basteln. Für ›Zufällige Akte …‹ existiert eine Filmoption, die der unabhängige Filmproduzent Nick Weschler erworben hat. Bruce Willis hatte die Option auf ›Ambient‹, ließ sie aber nicht mehr erneuern, als er ›12 Monkeys‹ gedreht hatte.
F: Mir scheinen Verfilmungen ein Albtraum für den Schriftsteller zu sein: extremes Teamwork, jeder redet einem in die eigenen Vorstellungen und Visionen drein, alles wird verwässert. Allerdings wird die Frustration durch einen Haufen Geld versüßt.
A: Läßt man sich mit den Filmleuten ein, dann muß man das als eine gerechte Art der Zusammenarbeit betrachten: »Ich mach meinen Job, Ihr macht Euren. Es wird schon etwas dabei herauskommen. Oder auch nicht. Und tschüß.« Ein Drehbuch ist auch Literatur, aber eine andere Art, als ich sie betreibe. Eine wirkliche Berührung unserer beider Welten ist nicht möglich, darum könnte ich nie ein Drehbuch aus meinem Roman machen. Falls jemand die Rechte kauft und für einen Film alles umschreibt, dann akzeptiere ich das als die Natur des Spiels. Ich mache mir keinerlei Illusionen, je etwas auf der Leinwand zu sehen, das vollständig meiner Textvorlage entspricht. Nur wer glaubt, sein Buch und das dazugehörige Filmdrehbuch hätten etwas anderes gemein als den Titel, wird wirkliche Enttäuschungen erleben.
F: Haben Sie eigentlich schon darüber nachgedacht, was Sie anfangen, wenn der Dryco-Zyklus fertig ist? Haben Sie Angst, eingeengt, gefangen zu sein in der von Ihnen geschaffenen Welt, nur noch fähig, Dryco-Romane zu schreiben?
A: Nein, weil das sechste Buch das Thema absolut und final zu einem Ende bringen wird. Weder ich, noch ein anderer Autor wird die Dryco-Geschichte weiterschreiben können. Außerdem verabscheue ich Trittbrettfahrer, mich eingeschlossen.
F: Mir gefiele es ja, wenn Sie sich für alternative Vergangenheiten erwärmen könnten, ähnlich ›Terraplane‹. Eine schöne Leseerfahrung bei ›Terraplane‹ war für mich dieses Schwindelgefühl, das sich einstellte, als sich Ihre Version der Historie von der uns bekannten abspaltete und Stück für Stück die Fremdartigkeit zum Vorschein kam …
A: Das Konzept einer alternativen Vergangenheit mag ich schon, aber es liegt auch eine Beschränkung darin. Das ist überhaupt das Problem mit Historienromanen.
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