Ambient 02 - Heidern
Einzelheiten in den Erzählfluß einzubauen. Außerdem verstärkte sich noch der von mir gewünschte Eindruck, dies alles spiele sich in einer sehr ähnlichen, aber doch anderen Welt ab. Je mehr man liest, desto normaler erscheint sie einem: So war meine Idealvorstellung. Leuten, die sich bei mir beklagen, sie täten sich so schwer mit meinen Büchern, empfehle ich, die Sätze laut zu lesen, weil sie so auch geschrieben worden sind. Soll helfen, wurde mir gesagt.
Als ›Ambient‹ im Kasten war, stand der grundsätzliche Entwurf für die fünf anderen Romane fest. Ich konnte gleich weitermachen und schlug meinem Verlag ›Heathern‹ vor, aber die rieten mir, eher etwas mit ›Ambient‹ Verwandtes zu versuchen, also setzte ich mich an ›Terraplane‹.
F: ›Zufällige Akte …‹ ist der fünfte und bisher letzte Roman aus Ihrem Zyklus, chronologisch aber der Beginn …
A: Jedes Buch kann gut für sich alleine gelesen werden.
F: Aber der Entwurf für ›Zufällige Akte …‹ ist also wirklich mehr als zehn Jahre alt und stammt aus der ›Ambient‹-Zeit? Wie dicht an Ihrem Originalentwurf sind Sie geblieben? War es schon immer als Tagebuch einer 12jährigen gedacht?
A: Ursprünglich wollte ich diesen chronologisch frühen Zeitraum in einer Reihe Einzelepisoden behandeln; der Inhalt der einzelnen Episoden stand aber nicht fest. Als ich ›Terraplane‹ beendete und meine Vorstellungen von der Handlung immer schärfer wurden, kam ich auch zu dem Entschluß, daß ›Zufällige Akte sinnloser Gewalt‹ zeitlich am nächsten zur Gegenwart angesiedelt sein müßte. Das Buch spielt in etwa im Jahr nach der 96er Präsidentschaftswahl, also 1997, inzwischen quasi gestern.
Jedes meiner Bücher hat einen anderen Erzähler mit einem anderen gesellschaftlichen Background. ›Ambient‹ hat einen männlichen, weißen Erzähler aus der Mittelschicht. ›Terraplane‹ wird erzählt aus der Sicht eines männlichen Schwarzen aus dem Bürgertum mit einem militärischen Hintergrund. ›Heathern‹: weiße Frau, bürgerlich. ›Elvissey‹: schwarze Frau, Mittelschicht, aber mit Drang nach Höherem und ständiger Angst vor sozialem Abstieg. Allen ist gemein, daß sie befürchten, irgendwie unter die Räder kommen zu können. Für ›Zufällige Akte …‹ schien es mir günstig, ein Mädchen mit erkennbar privilegiertem Hintergrund zu haben. Sie besucht eine der besten privaten Mädchenschulen der Stadt. Zu Beginn der Handlung wohnt sie Park Avenue Ecke 86. Straße. Eine bessere Wohngegend findet sich nicht in New York. Der Familie geht's ganz gut, obwohl klar ist, daß das Geld jederzeit ausbleiben kann – was dann ja auch passiert. So kommt es zum rasanten Niedergang, der durch das Fehlen jeder Rücklagen und Absicherungen zur ungebremsten Höllenfahrt wird. ›Zufällige Akte …‹ läßt uns dies mit unschuldigen Augen erleben, aus der Perspektive eines Menschen, dem noch nie etwas zugestoßen war.
Als ich ›Ambient‹ verkauft hatte, klopften mir die Lektoren auf die Schulter, »Tolle Sache!«, und fragten mich, wann das Buch denn spiele? In 50, in 100 Jahren? Ich sagte, daß es in 25 Jahren spielen würde und erhielt als Antwort ein »Niemals! So schnell geht die Welt nicht den Bach runter. Einigen wir uns auf 50 Jahre?« Ich widersprach: 25 Jahre. Und sie haben es nie kapiert. Sie wollten ständig wissen, wie wir denn zu denen geworden seien. Ich konnte immer nur antworten, daß wir schon sie seien. Das paßte ihnen nicht. Dabei ist das eines der zentralen Anliegen meiner Bücher. Da ich ohnehin nicht in der chronologisch richtigen Reihenfolge schrieb, sollte erst ›Zufällige Akte …‹ das uns zeitlich am nächsten liegende Buch sein. Und nun, da ich wieder eher regulär im Literaturbetrieb arbeite, kann man ›Zufällige Akte …‹ als beides lesen: als SF oder einfach als Roman, der nahe an uns dran ist, der zum Nachdenken über das Heute zwingt. Der uns das Fürchten lehrt.
Weil ein junges Mädchen die Geschichte erzählt, konnte ich nicht nur einen Entwicklungsroman im landläufigen Sinn schreiben, sondern exemplarisch die Entwicklung aller Hauptpersonen meiner Romane abdecken. Wie wird aus unseren Kindern eine Hauptperson in einem Womack-Roman? Außerdem erlaubte mir das Konstrukt, mit einem sehr einfachen Kinder-Englisch anzufangen – das Englisch eines intelligenten Kindes zwar, aber eben kindlich – und je nach Veränderung in der Gesellschaft und Umwelt die Sprache mutieren zu lassen.
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