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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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Polizei gegangen.
    Dicht beieinander gingen sie alle zum Picknickplatz am Trailhead, dann auf den Pfad am Westufer, LeBow und Raff vorneweg, Rainey und der Cowboyhut dicht dahinter. LeBow machte keine Anstalten, seinen Schritt zu verlangsamen.
    «Wohin gehen wir? Was wollen Sie mir zeigen?», fragte Raff.
    «Das sehen Sie gleich», sagte LeBow.
    «Okay, wohin gehen wir?», fragte Raff erneut.
    «An den Fluss», erwiderte LeBow.
    O mein Gott, noch schlimmer, dachte Raff. Sie scheuen sich nicht einmal, mir klar zu sagen, was sie vorhaben. Sie wollen mich umbringen und in den Fluss werfen. Mich verschwinden lassen. Das sind ja Verrückte.
    Aufgeregt schmiedete er Fluchtpläne. Er musste jetztsofort handeln. Rainey und wahrscheinlich auch der Cowboyhut haben Waffen, konstatierte er, aber LeBow ist unbewaffnet. Ich muss mich irgendwie davonmachen und in Deckung gehen, bevor sie die Waffen ziehen und schießen können. Das ist die einzige Möglichkeit. Und zwar schnell, bevor wir weiterkommen.
    Raff kannte den Nokobee wie seine Westentasche, und sofort ging er im Kopf die Stellen durch, an denen eine Flucht möglich wäre. Noch waren sie dicht am See im schattigen Wald. An der Bucht, wo der Bach den See verließ, würde westlich des Pfades ein Dom in Sicht kommen, eine der dichten Laubholzinseln, die einen periodischen Tümpel umstanden. Dahinter, Raff sah sie vor sich, lag eine kleine Lichtung, und wiederum dahinter ein dichter, aber begehbarer Mischwald. Wenn er nur hinter den Dom schlüpfen könnte und es bis in das dichte Gehölz schaffte, ohne erschossen zu werden, dann hatte er eine Chance.
    Als sie auf dem Pfad an der richtigen Stelle ankamen, blieb Raff abrupt stehen und sagte: «Hören Sie, ich muss wirklich dringend einmal pinkeln. Dauert bloß eine Sekunde.» Er ließ seine Stimme so ruhig wie möglich klingen und versuchte so zu tun, als bemerkte er gar nicht, in was für einer misslichen Lage er sich befand.
    Mit der Geste des Menschenfreundes gegenüber einem Verdammten sagte LeBow: «Okay, aber nur ein paar Schritte, und komm erst gar nicht auf dumme Gedanken. Sunky», wandte er sich an den Cowboyhut, «du bleibst direkt hinter ihm, und wenn er versucht wegzulaufen, erschießt du ihn.»
    Damit verließ Raff den Pfad mit vorsichtigen, steifbeinigen Schritten, und ging auf den Dom zu. Sunky folgteihm auf den Fersen. Raff ging weiter, bis er etwa sieben Meter vom Pfad entfernt in niedrigem Gestrüpp unweit des Doms stand. In Gedanken ging er jeden Schritt des beabsichtigten Sprints um den Dom durch.
    Sunky stieß ihm hart ins Kreuz. «Das reicht», sagte er schroff.
    Raff blieb einen Moment mit dem Rücken zu Sunky stehen, dann bewegte er seine Arme, als würde er seine Hose aufknöpfen. Nach ein paar Sekunden wandte er sich halb um und schaute auf Sunky, der nur eine Armlänge entfernt von ihm stand; er sah, dass der Junge seine Waffe noch nicht gezogen hatte. Auf dem Pfad redete Rainey leise auf LeBow ein; auch seine Waffe steckte noch immer unter dem Hemd.
    Raff drehte sich ganz um und setzte an: «Halt, Sunky, da ist eine Schlange …»
    In diesem Augenblick hatte er sich weit genug nach hinten gedreht und stieß Sunky, so fest er konnte, um. Der junge Bewaffnete fiel nach hinten, kam hart auf dem Boden auf, schrie, riss die Arme in die Luft, sein Hut segelte zur Seite. Als Sunky am Boden aufschlug, war Raff schon am Rand des Doms und umrundete ihn im Laufschritt. Rainey reagierte sofort. Nach fünf Sekunden hatte er seine Waffe gezogen und eröffnete das Feuer. Raff war gerade noch vor dem ersten Schuss außer Sicht gekommen. Rainey versuchte sich auszurechnen, wie Raff durch die Vegetation vorankam, und feuerte aufs Geratewohl noch mehrere Schüsse durch das dichte Laubwerk. Das war eine Taktik, die nur selten aufging, wenn man im Unterholz Hirsche jagte, und auch diesmal scheiterte sie.
    Raff rannte weiter über die kleine Lichtung. Er verschwand gerade in dem Gebüsch dahinter, als seine Verfolgerden Dom umrundeten. Rainey und Sunky, der sich wieder aufgerappelt hatte und losrannte, hielten sich jetzt zurück, weil sie gezielt schießen wollten, verfehlten ihn aber und stürzten, gefolgt von LeBow, hinter ihm her.
    Raff hatte jetzt kaum mehr als vierzig Meter Vorsprung. Nur das dichte Laubwerk schützte ihn in den ersten ein oder zwei Minuten davor, abgeknallt zu werden. Er wusste aber, dass er seinen Vorsprung vergrößern konnte, weil ihm das wilde Gebiet des Nokobee vertraut war und ihnen nicht. Er

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