Ameisenroman
und Umweltschutz; sie bedeuten eigentlich dasselbe, das lateinische
conservare
heißt ja gerade ‹erhalten›, ‹schützen›.» Lächelnd fügte er hinzu: «Jetzt kommen Sie mir nicht damit, dass ich das oben in Harvard aufgeschnappt habe. Nein, das habe ich hier aus der Florida State University von einemSüdstaatler-Professor, der auf beiden Gebieten Fachmann ist. Er fragte damals im Seminar, was ist Konservatismus ohne Umweltschutz? Und wie wollen wir jemals Autarkie in Energiefragen erreichen und unsere natürlichen Ressourcen erhalten, wenn wir keinen Umweltschutz betreiben? Darüber lohnt es sich, einmal nachzudenken. Kürzlich formulierte ein Autor es so: ‹Grün ist das neue Sternenbanner!›» Raff hob jetzt bittend die Hände. «Und Sie müssen auch zugeben: Es will nicht jeder Golf spielen. Sehr viele Menschen möchten in Naturnähe wohnen. Und hier unten, das wissen Sie so gut wie ich, kann man, wenn man will, fast das ganze Jahr über in Shorts und T-Shirt rausgehen und die Natur genießen.»
Richard Sturtevant hörte ihm gar nicht mehr zu. Er kritzelte etwas auf die Rückseite des Papiers, das Raff ihm gegeben hatte.
Sunderland räusperte sich laut, zögerte, sich in das Gespräch einzumischen, dann stand er auf und ging hinüber an das Panoramafenster, das sich nach Osten öffnete. Der Morgenhimmel war noch ungetrübt blau. Die aufgehende Sonne hatte den Mobile River von Schwarz in ein helles Braun umgefärbt. Die Hochhäuser der Stadt waren nicht mehr bronzefarben wie im Morgengrauen, sondern leuchteten jetzt im hellen Sonnenlicht in allen Farben. Sunderland bemerkte einen Schwarm Silbermöwen, die von einem Parkplatz aufstoben, als ein Auto heranfuhr. Sie kreisten hinaus auf die Bucht von Mobile.
Sunderland drehte sich um und blickte auf den Bankhead Tower achthundert Meter weiter im Süden, noch immer das höchste Gebäude der Stadt, dessen oberste Etagen weit über die Dächer der anderen Hochhäuser im Stadtzentrum aufragten. Hier lagen die besten Luxusapartmentsder Stadt. Die große amerikanische Flagge auf der Turmspitze bauschte sich leicht auf und fiel wieder schlaff herunter. Das ist die größte Leistung des Unternehmens, sinnierte er. Die Leistung meines Vaters.
Er hatte seinen Entschluss bereits gefasst, als Raff noch sprach. Jetzt versuchte er die richtigen Worte zu finden.
«Wir könnten schon etwas in der Art machen», sagte er, den Blick noch immer nach draußen gerichtet.
Dann wandte er sich um, kam auf sie zu, und indem er auf Raff hinunterblickte, sagte er: «Aber werden die Ökos uns trauen? Immerhin ist unser Unternehmen für sie der große böse Wolf. Am Nokobee haben wir schon einen Schwarzen Peter weg. Das Fiasko am Dead Owl Cove war bisher das Einzige, was wir dort in Sachen Umwelt unternommen haben. Wahrscheinlich werden sie kaum einsehen, dass wir keine andere Wahl hatten. Diese Ameisen waren ja dabei, den ganzen Platz lebendig aufzufressen – so viel dazu, wenn man die Natur sich selbst überlässt. Sogar Menschen konnten sich da nicht mehr länger als ein paar Minuten aufhalten. Wir mussten also Gift sprühen oder irgendetwas tun. Natürlich hat sich nachher herausgestellt, dass wir falsch vorgegangen sind, das gebe ich schon zu. Die Hälfte von dem Zeug wurde in den See hinuntergeschwemmt, und Gott steh uns bei, an der Küste vom Dead Owl Cove gab es ein einziges Massensterben. Über den halben See trieben die toten Fische. Überall auf dem Wanderpfad lagen tote Vögel herum. Die Ökos und die Einwohner vor Ort haben uns die Hölle heißgemacht. Von wegen und wir wollten sie mit krebserregenden Substanzen vergiften. Warum wir kein Bußgeld und keine Gerichtsverfahren angehängt bekamen, verstehe ich bis heute nicht.
Meine Frage also: Was, wenn die Ameisen wiederkommen, und wir können sie nicht vernichten?»
«Ich halte das nicht für wahrscheinlich, Sir», sagte Raff. «Wissen Sie, ich habe diese Ameisen jahrelang untersucht, als ich an der Florida State University war. Ganz zufällig kenne ich mich damit ziemlich gut aus. Was damals passiert ist, war eine seltene genetische Mutation. Ich kann es nicht beschwören – bei solchen Dingen kann man nie hundertprozentig sicher sein –, aber ich weiß sonst von keinem Fall, und ich bin ziemlich sicher, dass es nicht noch einmal vorkommen wird.» Ziemlich sicher war er zwar nicht, aber er musste es jetzt einfach behaupten.
Sunderland wandte sich an seinen Finanzchef. «Tja, Rick? Wollen wir’s
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