Ameisenroman
beinahe neunzig Prozent der Gesamtfläche, würde unberührt bleiben. Eine Kläranlage würde den See vor Verschmutzung schützen. Die beiden Alligatoren, die am Westufer lebten, würden gebeten werden, unter tätlicher Hilfe ans Ostufer umzuziehen.
Raffs Vermutungen hatten sich in einem wichtigen Punkt als korrekt erwiesen. Die Pläne von Sunderland hatten starke öffentliche Resonanz erfahren, und diewar bisher ausschließlich positiv. Eine dreiteilige Serie von Bill Robbins im
Mobile News Register
trug den Titel «Das Beste aus zwei Welten». Ein Leitartikel der
Atlanta Constitution
erklärte den Kompromiss vom Nokobee zum «Modell für Geländeentwicklung und Umweltschutz im Süden». Manch einer wettete darauf, dass Robbins’ Serie es auf die Shortlist für den Pulitzer-Preis in der Kategorie investigativer Journalismus schaffen würde. Die Sunderland Associates selbst waren laut Gerüchten im Gespräch für eine Auszeichnung des Umweltschutzverbandes Nature Conservancy. Raff war zu Vorträgen vor Bürgerversammlungen und Kirchengemeinden rund um Mobile und Pensacola eingeladen worden.
Wann immer Raff während der Besuche bei seinen Eltern etwas freie Zeit fand, kam er allein an den Nokobee und schlenderte über den Uferstreifen, solange er noch nicht erschlossen war. Immer wieder wanderte er über den bereits existierenden Pfad vom Dead Owl Cove bis an das Sumpfgebiet. Zentimeterweise untersuchte er die Stellen, die mit den rot angesprühten Pfosten der Landvermesser markiert waren. Er fotografierte die Vegetation, machte Notizen und sammelte Pflanzenproben, um sie zu identifizieren. Bis die Kettensägen und Bagger kämen, wollte er so eine detaillierte Karte der Biodiversität in diesem ursprünglichen Lebensraum erstellen. Die käme dann in die Bestände der University of South Alabama in Mobile, wo künftige Generationen von Biologen sie untersuchen könnten. Wenn er diesen Teil des Nokobee nicht schützen konnte, so konnte er ihn immerhin für das Gedächtnis aufbewahren.
Am späten Nachmittag, als die Schatten der Kiefern länger wurden und die Ufervegetation dunkel verfärbten,ging Raff zurück zu seinem Auto. Zu seiner Überraschung musste er feststellen, dass er dort von drei Männern erwartet wurde. Er erkannte Reverend Wayne LeBow und seinen Assistenten Bo Rainey. O Junge, dachte er. In ihrer Begleitung befand sich noch ein jüngerer Mann knapp unter zwanzig mit einem modischen Dreitagebart, der eine dunkle Brille und einen breitrandigen Hut trug. LeBow steckte in seinem Anzug, diesmal aber ohne Krawatte. Rainey und der Cowboy trugen Chinos und weiße, kurzärmelige Hemden, die über den Gürtel hingen. Die drei standen zwischen ihm und seinem Auto und blickten ihn wortlos an.
Als Raff sie sah, läuteten bei ihm sofort die Alarmglocken, dann geriet er fast in Panik. Er dachte daran, kehrtzumachen und einfach in den Wald zu laufen. Damit aber würde er sich lächerlich machen. Wer weiß, vielleicht wollten sie ja nur Frieden schließen, oder ein berechtigtes Problem ansprechen. Oder einfach noch ein bisschen streiten. Aber warum drei? Wer war der Bursche mit dem Cowboyhut?
Als er sich ihnen näherte, sagte er zu LeBow: «Hallo, Reverend LeBow, nicht wahr? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?»
«Wir müssen mit Ihnen reden», erwiderte LeBow.
Die Schroffheit in seiner Stimme gefiel Raff gar nicht. «Sehr gerne», sagte er, «aber jetzt muss ich schnell zu einer Verabredung. Wir können uns später treffen, wenn Sie wollen. Rufen Sie mich einfach an.» Er wollte an ihnen vorbeigehen.
«Nein, wir wollen jetzt sofort mit Ihnen reden», sagte LeBow.
«Sehen Sie, ich kann gerade nicht. Aber wir könnenuns auf jeden Fall bald sprechen, wann immer es Ihnen passt, Reverend. Wir können essen gehen. Ich schulde Ihnen sowieso noch ein Bier.»
«Nein, jetzt sofort», erwiderte LeBow.
Rainey zog unauffällig seinen losen Hemdzipfel zur Seite, so dass Raff einen Blick auf eine kurzläufige Pistole werfen konnte, die in seinem Hosenbund steckte.
Um Himmels willen, dachte Raff, da werde ich wohl mitspielen müssen, Zeit gewinnen, abwarten, bis sie sich abreagiert haben. «Okay, wenn es derart wichtig ist, dann sagen Sie nur.»
«Zuerst möchten wir Ihnen etwas zeigen», sagte LeBow und wies mit dem Kopf auf den Wanderpfad.
Was denn zeigen?, überlegte Raff. Bedrohen werden sie mich, mich zu zwingen versuchen, dass ich an den Plänen für den Nokobee noch etwas ändere. Wäre ich doch nur damals schon zur
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