Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
Steinblöcke abgetragen und sie für andere Bauten verwendet; die Reste sind deshalb eigentlich nur noch Schutthaufen. Das war mir jedoch egal, denn Pyramiden in jeder Form waren nun meine Leidenschaft.
Ich war fest entschlossen gewesen, wenigstens eine der Grabkammern zu besuchen, die mit herrlichen Wandmalereien und HieroglyphenInschriften geschmückt sind; wegen Evelyn verzichtete ich darauf, als sie das enge, dunkle Loch sah, in das ich an einem Seil hinabgelassen hätte werden müssen. Sie wurde totenblaß und drohte mir zu folgen. Da ließ ich es lieber sein.
Auch Travers mißbilligte meine Pyramidenausflüge. Etliche meiner Kleider ließen sich nicht mehr reparieren, und die anderen machten ihr sehr große Mühe. Besonders ekelte sie sich vor dem Fledermauskot, den ich gelegentlich und ohne es zu wissen mitbrachte. Einmal schlug ich einen Ausflug nach Dashoor vor, wo es einige hervorragende Pyramiden gibt, doch Evelyn weigerte sich energisch und wollte lieber das Museum von Boulaq besuchen. Das taten wir, denn nach dem Museumsbesuch konnte ich zu Hassan gehen.
Auf M. Maspero, den französischen Abteilungsleiter für Altertümer, freute ich mich. Mein Vater hatte mit ihm korrespondiert, und so durfte ich hoffen, daß mein Name ihm vertraut sei. Er war es, und wir fanden M. Maspero im Museum. Meistens ist er nämlich zu Ausgrabungen weg.
Seinen Assistenten Emil Brugsch kannte ich nur seinem Ruf nach, denn er hatte vor wenigen Jahren das Versteck berühmter königlicher Mumien entdeckt. Während wir auf M. Maspero warteten, erzählte uns Herr Brugsch die Geschichte des Fundes. Gute zehn Jahre früher hatte eine Räuberfamilie aus Theben das Versteck der Mumie gefunden, weil der sehr zwielichtige Abd erRasool Ahmed in den Felsen am Rand seines Dorfes namens Gurnah eine Ziege suchte. Die Ziege war in eine Felsspalte gefallen, und da machte er seinen erstaunlichen Fund – die Mumien der großen Pharaonen, die nach der Ausplünderung ihrer Gräber hier versteckt worden waren.
Brugsch hatte von Sammlern Fotos von Gegenständen erhalten, die königliche Namen trugen, und ihm war sofort klar gewesen, daß diese Dinge aus Gräbern stammen mußten. Die meisten dieser Gräber befanden sich, wie er wußte, in Theben, und so bat er die Polizei, solche Leute zu beobachten, die plötzlich mehr Geld ausgaben, als sie offiziell hatten. Der Verdacht konzentrierte sich auf die Familie Abd erRasool, die sich inzwischen wegen der Aufteilung der Beute zerstritten hatte; einer verriet das Geheimnis an Brugsch.
Mir lag an diesem Herrn jedoch nichts; er steht seit langem im Dienst von M. Maspero und seinem Vorgänger M. Mariette, und sein Bruder ist ein sehr bekannter Wissenschaftler. Mir gefällt seine harte Art nicht, in der er die Foltern beschrieb, welchen die Diebe ausgesetzt wurden, um ihre Geständnisse zu erzwingen. Ihm war es auch zu verdanken, daß die königlichen Toten sofort in Sicherheit gebracht wurden. Innerhalb von acht Tagen waren sie auf einer Barke nach dem Norden unterwegs. Zahllose Klageweiber hatten die Flußufer gesäumt, um die alten Könige zu beweinen.
Endlich kam M. Maspero. Er war ein stämmiger, ungemein liebenswürdiger Mann mit einem kurzgestutzten, schwarzen Bart. Als artiger Franzose beugte er sich über meine Hand und begrüßte Evelyn voll Bewunderung. Von meinem Vater sprach er in Worten höchster Verehrung. Er bat uns um Entschuldigung, weil er uns nicht persönlich im Museum herumführen konnte, versprach jedoch, später wieder zu uns zu stoßen.
Ich war froh, daß er nicht bei uns war, denn ich hätte ihm sonst sicher gesagt, was ich von seinem Museum hielt. Es enthielt selbstverständlich eine ganze Menge der interessantesten Dinge, aber der Staub und das Durcheinander! Meine hausfraulichen Instinkte fühlten sich herausgefordert.
»Vielleicht bist du jetzt nicht ganz fair«, hielt mir Evelyn in ihrer sanften Art vor. »Es gibt so unendlich viele Gegenstände, täglich kommen neue dazu, und das Museum ist trotz der kürzlichen Vergrößerung viel zu klein. Wie soll man da immer Ordnung halten und Staub wischen können?«
»Um so mehr Grund, Ordnung zu halten«, erwiderte ich.
»Früher wurde alles, was die europäischen Abenteurer fanden, außer Landes geschleppt. Nun besteht doch ein Abkommen zwischen Großbritannien und Frankreich, das den Franzosen die Aufsicht über alle Altertümer einräumt, während unser Staat Finanzen, Bildungs und Gesundheitswesen, Außenpolitik und so
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