Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
sanften Stimme ein. »Ich bewundere die schönen Farben dieser Ketten.«
»Sie sind aber nicht wertvoll. Wir finden diese Ketten zu Hunderten. Es sind ganz gewöhnliche Fayencen.«
»Dann sind diese herrlichen Korallen und Türkise gar keine echten Steine?«
» Mais non, Mademoiselle, das alles sind nur Imitationen von Korallen, Türkisen, Lapislazulisteinen und dergleichen und bestehen aus einer farbigen Paste, die im alten Ägypten viel verwendet wurde.«
»Sie sind trotzdem sehr hübsch«, bemerkte ich. »Und schon das Alter dieser Gegenstände ist bewundernswert. Wenn man bedenkt, daß diese wunderschönen Perlen vor tausend Jahren um den Hals …«
Der Schwarzbärtige wirbelte herum. »Dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung«, korrigierte er mich wütend.
Maspero lächelte nur, nahm eine Kette aus winzigen blauen und korallenfarbenen Perlen und überreichte sie mit einer höflichen Verbeugung Evelyn. »Behalten Sie das bitte als Erinnerung an Ihren Besuch hier. Wie schade, daß ich nichts Schöneres für eine so entzückende junge Dame habe … Und das ist für Sie, Mademoiselle Peabody.« Auch mir drückte er eine Kette in die Hand. »Tun Sie mir die Ehre, sie zu behalten, meine Damen – außer Sie fürchten den Fluch der ägyptischen Rachegeister …«
»Ganz gewiß nicht«, versicherte ich ihm.
»Nun, und der Fluch des Mister Emerson?« fuhr er fort. »Sehen Sie, er ist schon wieder dabei, unfreundliche Dinge zu mir zu sagen.«
»Keine Angst, ich gehe schon«, knurrte Emerson. »In Ihrem Horrorhaus kann ich es sowieso nur ein paar Minuten aushalten. In aller Götter Namen, warum katalogisieren Sie nicht endlich diese ganzen Töpfe und Vasen?«
Damit stürmte er hinaus und zog seinen Bruder mit sich, der aber noch einmal umschaute und Evelyn nicht aus den Augen ließ, bis sie seinen Blicken entzogen war.
»Er hat ein sehr aufbrausendes Temperament«, bemerkte M. Maspero voll Bewunderung. »Die Großartigkeit seiner Wutausbrüche nötigt einem Respekt ab.«
»Da kann ich Ihnen nicht beipflichten«, widersprach ich ihm. »Wer ist dieser Bursche eigentlich?«
»Ein Landsmann von Ihnen, Madam, der sich für die Altertümer dieses Landes interessiert. Er hat wundervolle Ausgrabungen gemacht, aber ich fürchte, für uns hat er nicht viel übrig. Nicht ein Archäologe in ganz Ägypten entgeht seiner beißenden Kritik.«
»Wir halten Ihr Museum für faszinierend«, warf Evelyn taktvoll ein.
Wir verbrachten noch ein paar Stunden dort. Nicht um die Welt hätte ich das in der Öffentlichkeit gesagt, aber ich fand Emersons Kritik mehr als berechtigt. Die Ausstellungsstücke waren unmethodisch aufgereiht, und überall lag Staub.
Evelyn war dann zu müde, um noch zum Boot zu gehen, und sie war auch sehr schweigsam und nachdenklich. »Mr. Emersons jüngerer Bruder hat nicht das heftige Familientemperament, glaube ich«, bemerkte ich während der Rückfahrt. »Hast du zufällig seinen Namen gehört?«
»Walter«, erwiderte sie und errötete.
Ich tat, als bemerkte ich nichts. »Ah, ich fand ihn sehr angenehm. Vielleicht begegnen wir ihm im Hotel.«
»Nein, sie wohnen nicht bei Shepheard’s. Walt… Mr. Walter Emerson sagt, ihr ganzes Geld werde für die Ausgrabungen ausgegeben. Sein Bruder erhält einen Zuschuß von einem Museum oder irgendeiner Institution. Sein jährliches Einkommen ist nicht sehr groß, und sein Bruder Walter sagt, wenn er alle Reichtümer Indiens hätte, so würden sie ihm für seine Arbeit auch noch nicht genügen.«
»In der kurzen Zeit hast du aber sehr viel erfahren«, stellte ich amüsiert fest und beobachtete Evelyn aus den Augenwinkeln heraus. »Wie schade, daß wir die Bekanntschaft nicht nur mit dem jüngeren Bruder fortsetzen können und dem Wahnsinnigen …«
»Wir werden einander kaum mehr begegnen«, warf Evelyn leise ein, doch da hegte ich recht deutliche Zweifel. Nach einer kurzen Mittagspause besorgten wir die Medikamente, die unser Reiseführer für unerläßlich hielt. Südlich von Kairo gibt es noch immer kaum einen Arzt. Ich hätte, wäre ich ein Mann gewesen, allzu gerne Medizin studiert, denn ich habe dafür eine natürliche Begabung. Ich falle beim Anblick von Wunden nicht in Ohnmacht, wie viele meiner männlichen Bekannten. Selbstverständlich hatte ich auf meiner Liste auch einige chirurgische Instrumente und war durchaus bereit, im Notfall auch Gliedmaßen, mindestens einen Finger oder eine Zehe, zu amputieren.
Michael, unser Dragoman, begleitete uns.
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