Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod
Versklavung eingetauscht; das glaubte ich zumindest. (Und was die Mehrheit aller Frauen betrifft, bin ich immer noch dieser Ansicht.) Mein weiterer Lebensweg stellte sich allerdings als eben die Ausnahme heraus, die die Regel bestätigt, und hätte ich gewußt, welch ungeahnte und unvorstellbare Freuden mich erwarteten, die Fesseln, die mich gefangenhielten, wären mir unerträglich vorgekommen. Doch diese Fesseln wurden erst durchtrennt, als mich der Tod meines armen Papas zur Erbin eines bescheidenen Vermögens machte und ich aufbrach, um die antiken Stätten, die ich bis dahin nur aus Büchern und von Photographien her kannte, mit eigenen Augen zu sehen. Inmitten der Altertümer Ägyptens begriff ich endlich, was mir so lange gefehlt hatte – Abenteuer, Aufregung, Gefahren, eine Lebensaufgabe, die meinen gesamten beachtlichen Intellekt in Anspruch nahm, und die Gemeinschaft mit einem bemerkenswerten Mann, der ebenso für mich bestimmt war wie ich für ihn. Welch rasende Verfolgungsjagden! Welche Kämpfe um die Freiheit! Welch wilde Verzückung!
*
Eine gewisse Dame, Lektorin von Beruf, teilte mir mit, daß ich die Geschichte nicht richtig angefangen hätte. Sie behauptete, daß eine Autorin, will sie die Aufmerksamkeit ihrer Leserschaft fesseln, am besten mit einer gewaltsamen und/oder leidenschaftlichen Szene beginnt.
»Ich habe doch etwas von … äh … wilder Verzückung geschrieben«, sagte ich.
Die Dame lächelte mich nachsichtig an. »Poesie, wenn ich es recht verstehe? Poesie können wir nicht dulden, Mrs. Emerson. Sie nimmt der Handlung den Schwung und verwirrt den normalen Leser.« (Dieses geheimnisvolle Individuum wird von Angehörigen der Verlagsbranche stets gern zu Felde geführt, und zwar in einem Tonfall, der sowohl von Herablassung als auch von abergläubischer Ehrfurcht zeugt.)
»Wir brauchen Blut«, fuhr die Dame fort, wobei ihre Stimme vor Aufregung vibrierte, »Ströme von Blut! Das dürfte Ihnen doch nicht schwerfallen, Mrs. Emerson. Soweit ich weiß, sind Ihnen schon einige Mörder über den Weg gelaufen.«
Nicht zum erstenmal hatte ich erwogen, meine Aufzeichnungen für eine etwaige Veröffentlichung zu überarbeiten, aber ich war noch nie so weit gegangen, mich tatsächlich an einen Lektor zu wenden. Also sah ich mich gezwungen, der Dame zu erläutern, daß – falls ihre Ansichten repräsentativ für die Verlagsbranche wären –, die Verlagsbranche in Zukunft ohne Amelia P. Emerson auskommen müßte. Wie ich den schäbigen Sensationshunger verachte, durch die sich die literarischen Produkte unserer Tage auszeichnen! Die edle Kunst der Schriftstellerei ist in den letzten Jahren wahrlich tief gesunken! Ein durchdachter, lockerer Stil findet keine Anerkennung mehr. Statt dessen prügelt man den Leser zur Aufmerksamkeit, und das durch Mittel, die an die niedersten und gemeinsten menschlichen Instinkte appellieren.
Kopfschüttelnd und irgend etwas von Mord nuschelnd, schlich die Lektorin von dannen. Es tat mir leid, sie zu enttäuschen, denn sie war wirklich recht nett – für eine Amerikanerin. Ich bin mir sicher, daß man mir wegen dieser Bemerkung keinen nationalen Chauvinismus vorwerfen wird. Amerikaner haben viele bewundernswerte Eigenschaften, aber literarisches Feingefühl gehört nicht dazu. Wenn ich noch einmal mit dem Gedanken an Veröffentlichung spielen sollte, werde ich einen britischen Verleger zu Rate ziehen.
Eigentlich hätte ich diese naive Lektorin auch darauf hinweisen können, daß es viel Schlimmeres als Mord gibt. Mit Leichen komme ich mittlerweile gut zurecht, wenn ich so sagen darf, doch einen der schlimmsten Momente in meinem Leben durchlitt ich im letzten Winter, als ich auf allen vieren über einen mit unsäglichem Müll bedeckten Hof kroch; dorthin, wo ich hoffte, den Menschen wiederzufinden, den ich mehr liebe als mein eigenes Leben. Er war seit fast einer Woche verschwunden, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß irgendein Gefängnis einen Mann von seiner Intelligenz und Körperkraft so lange festhalten konnte, außer … Diese Möglichkeit war zu schrecklich, um darüber nachzudenken; die entsetzliche Sorge ließ mich meine schmerzhaft aufgeschürften Knie und die zerschundenen Hände vergessen und mir die Angst vor überall lauernden Feinden unwichtig erscheinen. Schon hing die Sonne kreisrund am westlichen Himmel. Die Schatten stachliger Gräser fielen grau auf den Boden und auf die Mauern des Hauses, das unser Ziel war. Es handelte sich um ein
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