Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod
hinzufügen muß) nach Fähigkeiten und nicht nach Rang und Stellung. Anders als die meisten Archäologen lehnt er die blumigen Ehrenbezeugungen ab, mit denen die Fellachen Ausländer bedenken. Seine ägyptischen Arbeiter, die ihn sehr bewunderten, haben ihm respektvoll den Beinamen »Vater der Flüche« verliehen, und ich muß zugeben, daß sie damit den Nagel auf den Kopf getroffen haben.
Meine Verbindung mit diesem bewundernswerten Menschen verhalf mir zu einem Leben, das ganz nach meinem Geschmack war. Emerson akzeptierte mich als gleichberechtigte Partnerin sowohl im Beruf als auch in der Ehe, und wir verbrachten die Winter an verschiedenen Ausgrabungsstätten in Ägypten. Ich muß hinzufügen, daß ich die einzige Frau war, die sich dieser Arbeit widmete – was traurige Schlüsse auf die Einschränkungen zuläßt, denen das weibliche Geschlecht im späten neunzehnten Jahrhundert unterworfen war –, und ohne die hundertprozentige Unterstützung meines außergewöhnlichen Ehemannes wäre mir das nie möglich gewesen. Emerson redete mir gar nicht zu, ich solle mich beteiligen, er nahm es als selbstverständlich. (Ich nahm es auch als selbstverständlich, was zu Emersons Haltung beigetragen haben mag.)
Aus Gründen, die ich mir nie erklären konnte, wurden unsere Ausgrabungen häufig durch Aktivitäten krimineller Natur gestört: Mörder, wandelnde Mumien und Meisterverbrecher hielten uns von der Arbeit ab; wir schienen Grabräuber und mordgierige Individuen regelrecht anzuziehen. Alles in allem hätte das Leben wunderschön sein können. Es hatte nur einen kleinen Makel in Gestalt unseres Sohnes, Walter Peabody Emerson, Freunden und Feinden gleichermaßen unter dem Spitznamen »Ramses« bekannt.
Daß alle kleinen Jungen Rabauken sind, ist eine allgemein anerkannte Tatsache. Ramses, der seinen Namen einem Pharao verdankt, dem er in Sturheit und Arroganz in nichts nachstand, hatte alle für sein Alter und Geschlecht typischen Unzulänglichkeiten: eine unglaubliche Liebe zum Dreck und faulenden, stinkenden Objekten, eine kaum vorstellbare Gleichgültigkeit, was sein eigenes Überleben betraf, sowie völlige Ignoranz gegenüber den Regeln des gesellschaftlichen Umgangs. Dazu kamen die für ihn charakteristischen Eigenschaften, die ihn noch unerträglicher machten. Seine Intelligenz war (nicht weiter überraschend) hoch entwickelt, doch sie äußerte sich auf recht beunruhigende Weise. Sein Arabisch war auffallend flüssig (woher er all die Wörter hatte, ist mir ein Rätsel; von mir ganz bestimmt nicht); ägyptische Hieroglyphen konnte er ebensogut lesen wie viele erwachsene Wissenschaftler; und er hatte die unheimliche Fähigkeit, mit Tieren jeglicher Spezies (außer der zweibeinigen) zu kommunizieren. Er … Aber Ramses außergewöhnliche Wesensart zu schildern, würde sogar meine literarischen Fähigkeiten übersteigen.
In den Jahren, die dieser Erzählung vorangingen, hatte Ramses Anzeichen der Besserung gezeigt. Er stürzte sich nicht mehr Hals über Kopf in jede Gefahr, und sein deftiger Wortschatz war gemäßigter geworden. Inzwischen war eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem stattlichen Erzeuger zutage getreten, obwohl er in Haut- und Haarfarbe eher wie ein Ägypter aus früherer Zeit als wie ein englischer Knabe wirkte. (Das kann ich mir ebensowenig erklären wie unsere ständigen Begegnungen mit kriminellen Elementen. Es gibt eben Dinge, die jenseits unseres begrenzten Verständnisses liegen, und wahrscheinlich ist das auch gut so.)
Ein noch nicht lange zurückliegendes Ereignis hatte jene drastischen Veränderungen in meinem Sohn hervorgerufen, wobei der letztendliche Ausgang dieser Entwicklung noch offenstand. Unser jüngstes und vielleicht bemerkenswertestes Abenteuer hatte sich im vergangenen Winter zugetragen, als der Hilferuf eines alten Freundes von Emerson uns in die Wüste des westlichen Nubiens und in eine abgelegene Oase führte, wo die Reste der alten meroitischen Zivilisation noch sichtbar waren. Es kam zu den üblichen Katastrophen: Nach dem Dahinscheiden unseres letzten Kamels verdursteten wir beinahe, man versuchte, uns zu entführen, und wir wurden zum Ziel gewalttätiger Übergriffe – nichts Außergewöhnliches also. Und als wir unseren Bestimmungsort erreichten, mußten wir feststellen, daß unsere Hilfe zu spät kam. Das unglückliche Paar hatte jedoch ein Kind zurückgelassen – ein junges Mädchen, das wir mit der Hilfe ihres ritterlichen und tapferen Pflegebruders vor einem
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