Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Zeiten war der Skarabäus ein beliebtes Amulett, das auf der Unterseite stets eine Inschrift oder einen Namen in Hieroglyphen trug. Nachahmungen verkaufte man zu Hunderten an ausländische Besucher. Dieser Skarabäus bestand nicht aus gewöhnlicher Fayence oder aus Stein, sondern anscheinend aus massivem Gold. Man hatte ihn auf eine Weise am Ring befestigt, die ich von alten Vorbildern her kannte: mit gezwirbelten Golddrähten zu beiden Seiten des Skarabäus, so daß man ihn um die eigene Achse drehen konnte. Als ich das tat, entdeckte ich, wie erwartet, einen Namen in Hieroglyphenschrift – allerdings einen, den man gewöhnlich nicht auf solchen Schmuckstücken fand.
Ich reichte den Ring Emerson, der ihn stirnrunzelnd musterte, während Mr. Saleh zu sprechen begann.
»Dieses Schmuckstück wird seit dreitausend Jahren von Generation zu Generation weitergegeben. Es ist das Zeichen des Hohepriesters, der über das Ka der Königin Tetischeri wacht. Ihren Namen haben Sie auf dem Skarabäus gesehen. Nur der Körper zerfällt, der unsterbliche Geist, das Ka der Ägypter, wandert von einer fleischlichen Hülle zur nächsten. Im Laufe unzähliger Jahrhunderte war es meine Pflicht, das Überleben und die Wiedergeburt dieser großen Königin zu gewährleisten. In meiner ersten Inkarnation als Heriamon von Theben war ich ihr treuer …«
Emersons Gebrüll ließ die Fensterscheiben erzittern: »Himmelherrgottkreuzdonnerwetter!«
»Emerson!« rief ich aus. »Mäßige dich. Und paß auf den Ring auf. Er besteht aus zweiundzwanzigkarätigem Gold und ist ziemlich empfindlich.«
»Peabody, so einen Unsinn höre ich mir nicht länger an.« Die Zornesröte hatte seinem Gesicht einen hübschen Mahagoniton verliehen, doch er legte mir den Ring vorsichtig auf die Hand, ehe er die Faust ballte und sie unter meiner Nase schwenkte. »Reinkarnation! Entweder ist dieser Mann ein Spinner, oder er erfindet diesen Schwachsinn, um einen verbrecherischen Plan zu verschleiern.« Er sprang auf und stürzte auf den Fremden zu.
Dieser jedoch war, durch Emersons Wutschrei gewarnt, ebenfalls aufgestanden. Die Pistole in seiner Hand ließ sogar meinen Gatten ruckartig innehalten. »Zum Teufel!« drohte Emerson. »Wenn Sie es wagen, meiner Frau auch nur ein Haar zu krümmen …«
»Es liegt nicht in meiner Absicht, einem von Ihnen etwas anzutun«, lautete die rasche Antwort. »Ich bin aus anderen Gründen bewaffnet. Allerdings überrascht mich Ihre Reaktion nicht. Bitte, hören Sie mich an. Was haben Sie dabei zu verlieren?«
»Raus mit der Sprache«, forderte Emerson ihn barsch auf.
»Ich habe Ihnen die reine Wahrheit gesagt. Dieser Körper ist nur der letzte in einer Reihe von vielen, in denen mein Ka wiedergeboren wurde. Ob Sie das glauben oder nicht, ist für mich ohne Bedeutung. Ich habe es nur erwähnt, um zu erklären, woher ich weiß, was ich Ihnen nun erzählen möchte. Ich kenne ihr Grab und kann Sie hinführen – es ist das Grab einer Königin, und alle Schätze sind noch unangetastet.«
Emerson hielt den Atem an. Er glaubte es nicht – aber, ach, wie gern hätte er es geglaubt! Nicht für alles Geld und alle Macht der Welt hätte er seine Seele verkauft, doch für ein Königsgrab … Mephisto selbst hätte einem Ägyptologen kein verführerischeres Angebot machen können, zudem einem Ägyptologen, dem das Wissen über schnöden Ruhm ging. Emersons Leistungen auf dem Gebiet der Ägyptologie hatten ihm die Anerkennung seiner Berufskollegen (und, wie ich leider sagen muß, auch einen gewissen Grad an schnödem Ruhm) eingebracht, doch noch nie war ihm die aufsehenerregende Entdeckung geglückt, von der jeder Archäologe träumt. Bot sich ihm jetzt vielleicht die große Chance?
»Wo?« wollte er wissen.
»Drah Abu’l Naga.« Der Fremde trat einen Schritt zurück und ließ die Pistole sinken. Wie ich hatte er erkannt, daß Emerson es zwar nicht glaubte, aber gern geglaubt hätte.
Als Emerson noch einen Bart trug, hatte er die Angewohnheit besessen, daran zu zerren, wenn er angestrengt nachdachte. Da er inzwischen auf meinen Wunsch hin glattrasiert war, mußte er sich damit zufriedengeben, die Spalte an seinem Kinn zu reiben. »Es klingt logisch«, murmelte er. »Doch wenn Sie sich – wovon ich ausgehe – nur ein wenig in der Ägyptologie auskennen, können Sie das genausogut erfunden haben. Zum Teufel, Saleh, oder wie Sie sonst heißen, was wollen Sie wirklich? Warum sollten Sie ausgerechnet mir verraten, wo das Grab liegt, falls
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