Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
wieder zu Atem zu kommen, ehe ich zurückging. Ich holte tief Luft und fragte mich, weshalb Ramses es so eilig gehabt hatte. Sicher war wieder einmal seine unstillbare Neugier der Grund, aber er hätte wenigstens die Höflichkeit besitzen können, seiner Mutter den Arm zu bieten.
Ein anderer Gentleman übernahm diese Aufgabe. Es war Mr. Jenkins, der stellvertretende Geschäftsführer des Hotels, doch seine Hilfsbereitschaft hatte ihre Ursache wahrscheinlich eher in dem Wunsch nach Ruhe und Ordnung als in der Sorge um mein Wohlbefinden. Niemand tanzte mehr, und die Leute gafften schamlos. »Was ist geschehen, Mrs. Emerson?« fragte er, während er mich von der Tanzfläche führte.
Als ich erkannte, daß er meine Bitte an Captain Cartright nicht gehört hatte, beschloß ich, ihn im unklaren zu lassen. Er würde nur ein Riesentheater veranstalten. Geschäftsführer von Hotels haben es normalerweise nicht gern, wenn ihre Gäste sterben oder sich in Krämpfen winden.
»Man kümmert sich schon darum, Mr. Jenkins«, antwortete ich deshalb, in der Hoffnung, daß dies auch tatsächlich der Fall war. »Vielen Dank.«
Obwohl es mich an den Ort des Geschehens zurückdrängte, mußte ich zuerst mein Gewissen beruhigen und nachsehen, ob Nefret nun, da sich Ramses verdrückt hatte, sicher in Miss Marmadukes Obhut war. Allerdings saß jetzt ein anderer auf Miss Marmadukes Platz, und als ich den Raum absuchte, endeckte ich Nefret, die ohne Begleitung gerade wieder den Saal betrat. Anscheinend kam sie aus der maurischen Halle.
Allein ihr Anblick hätte in jedem Mutterherz sofort Verdacht erregt: ein leises Lächeln auf den Lippen, gerötete Wangen, leicht zerzaustes Haar. Die maurische Halle mit ihren weichen Diwanen und den perlmuttverzierten Möbeln ist ein unbeschreiblich romantischer Raum. Geschnitzte Wandschirme und bemalte Rundbögen schützen dunkle Nischen, die für Liebespärchen wie geschaffen sind.
Mit einem gemurmelten »Ach, du meine Güte!« eilte ich auf sie zu. Als sie mich sah, überzog eine noch verräterischere Röte ihr Gesicht. »Oh, Tante Amelia …« fing sie an.
»Du kommst jetzt auf der Stelle mit.«
»Aber ich hab’ doch nur …«
»Später, Nefret. Los, beeil dich.«
Ein glücklicher Zufall wollte es, daß der Aufzug wartete. Ich wies den Liftboy an, die Tür zu schließen und uns sofort in die dritte Etage zu bringen. Da wir nicht allein waren, konnte ich meine Adoptivtochter nicht ins Verhör nehmen; sie stand da, blickte starr geradeaus, biß sich auf die Unterlippe und legte sich höchstwahrscheinlich gerade ein Alibi zurecht. Doch als ich vor ihr den Korridor entlangeilte, dämmerte ihr allmählich, daß ihr Betragen nicht der einzige Anlaß für meine Aufregung war.
»Was ist geschehen?« fragte sie. »Hat es ein Unglück gegeben? Oh, mein Gott – hoffentlich ist dem Professor nichts zugestoßen?« Denn so nannte sie Emerson, der sich gegen die Anrede »Onkel Radcliffe« sicherlich gesträubt hätte. Er verabscheut nämlich seinen Vornamen, weshalb ich ihn nie benutze.
Erst als ich Nefrets Frage und ihre vor Angst belegte Stimme hörte, wurde mir klar, daß Ramses vielleicht einem ähnlichen Irrtum aufgesessen sein könnte. Kein Wunder, daß er sich so beeilt hatte.
Mein Sohn und der Captain waren kurz vor uns eingetroffen. Ramses stand mit verschränkten Armen da und blickte sehr geheimnisvoll drein. Cartright kniete neben dem Bewußtlosen. Als ich hereinkam, sah er auf. »Offenbar habe ich Sie mißverstanden, Mrs. Emerson«, sagte er. »Zu Ihrer Erleichterung kann ich Ihnen mitteilen, daß nichts auf eine Vergiftung hinweist; es ist nur …«
Ein langgezogener Klagelaut unterbrach ihn. Ich selbst hatte diesen Schrei ausgestoßen, denn nun erkannte ich, daß es sich bei der besinnungslosen Gestalt auf dem Boden nicht um den Fremden handelte.
Ich stieß den Arzt beiseite, fiel auf die Knie und nahm den blutenden Kopf des Verwundeten in die Arme.
»Mein geliebter Emerson!«
»Es ist nur eine Beule am Kopf, Mrs. Emerson«, meinte Cartright und erhob sich. »Ich versichere Ihnen, es besteht kein Grund zur Sorge.«
»Kein Grund zur Sorge!« rief ich verzweifelt aus. »Sie wissen nicht, was Sie da sagen, Sir. Als er das letztemal einen solchen Schlag abbekommen hat … Liebster!«
Er hatte die Augen aufgeschlagen und schaute mir nun ins Gesicht.
»Emerson, so sprich doch mit mir. Wer bin ich?«
2. Kapitel
WAS KANN EINE DAME DAFÜR, WENN EIN MEISTERVERBRECHER SEIN HERZ FÜR SIE
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