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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gebrauchten und geborgten Augenblicken.
    Mit düsterem Blick und immer noch zitternden Händen warf Delaney die Blechdosen und die Flaschen - Grünglas, Braunglas, Weißglas, alles sauber getrennt - in die entsprechenden Container, dann fuhr er auf die große Waage vor der Lagerhalle, um sich das Zeitungspapier hinten im Auto wiegen zu lassen. Während die Frau hinter dem Fenster die Zahl auf seiner Quittung notierte, dachte er schon wieder an den verletzten Mann und fragte sich, ob der Backenknochen ordentlich zusammenwachsen würde, falls er tatsächlich gebrochen war - schienen ließ sich so etwas ja nicht. Und wo würde der Mann sich waschen und seine Wunden desinfizieren? Im Bach? An einer Tankstelle?
    Es war verrückt, einfach jede Hilfe abzulehnen, total verrückt. Dennoch hatte er es getan. Und das hieß, daß er illegal hier war - ginge er zum Arzt, würde er abgeschoben. Dann lag eine solche Verzweiflung, eine so unendliche Traurigkeit, daß Delaney eine Weile in Gedanken ganz woanders war, reglos vor der Halle stand, die Quittung in der Hand, und ins Leere starrte.
    Er versuchte, sich das Leben des Mannes vorzustellen - das enge Zimmer, die Tüte mit matschigen Orangen von der Straßenecke, Arbeit mit Schaufel und Hacke, kalte weiße Bohnen direkt aus der Dose für 49 Cent. Pappige Tortillas. Orangenlimo. Die Umtata-Musik der Akkordeons und die blechernen Harmonien. Aber was machte er dann auf dem Topanga Canyon Boulevard um halb zwei Uhr nachmittags, da draußen mitten in der Wildnis? Arbeiten? Mittagspause?
    Und auf einmal wurde es Delaney klar, und die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag: der Einkaufswagen, die Tortillas, der Pfad in den Cañyon hinab - der Mann campte da unten, das war es! Er campte, lebte, hauste dort. Machte die Bäume und Sträucher, die ganze Wildnis des Topanga State Park zu seiner Privatwohnung, kackte in die Büsche, kippte seinen Müll hinter die Felsen, vergiftete den Bach und ruinierte die Natur für alle anderen. Das dort unten war Staatsbesitz - vor den Baufirmen und ihren Bulldozern gerettet und für die öffentliche Erholung reserviert, für die Natur, nicht für irgendein Freiluftghetto. Und die Brandgefahr? Um diese Jahreszeit war der Cañyon trocken wie Zunder, das war bekannt.
    Delaneys Schuldgefühle verwandelten sich in Wut, in Empörung.
    Meine Güte, wie er das haßte - allein der Abfall machte ihn fuchsteufelswild. Wie oft hatte er mit einer Gruppe von Freiwilligen den einen oder anderen Pfad gesäubert, mit Rechen und Schaufeln und schwarzen Müllsäcken? Und wie oft war er, manchmal nur Tage später, zurückgekommen, um alles wieder genauso verdreckt vorzufinden? Kein Weg in den Santa Monica Mountains ohne zerdrückte Bierdosen, ohne einen Teppich aus Glasscherben, Zigarettenstummeln und Einwickelpapier von Schokoriegeln, und Leute wie dieser Mexikaner oder was immer er war, waren verantwortlich dafür, gedankenlose, dumme Menschen - Menschen, die die ganze Welt in eine Müllhalde verwandeln wollten, in ein kleines Tijuana ...
    Delaney kochte vor Zorn, wollte am liebsten gleich seinem Kongreßabgeordneten schreiben, den Sheriff holen, irgendwas - doch dann beherrschte er sich. Vielleicht zog er ja voreilige Schlüsse. Woher wußte er denn, wer der Mann war und was er da tat? Nur weil er spanisch sprach, war er noch kein Verbrecher. Vielleicht picknickte er nur, war Hobby-Vogelkundler oder Angler; vielleicht war er ja ein Naturfreund von südlich der Grenze, der den Fliegenschnäpper oder den kalifornischen Zaunkönig studieren wollte ...
    Ja, sicher. Und Delaney war der König von Siam.
    Als er sich seiner selbst wieder bewußt wurde, saß er erneut in seinem Wagen und fuhr an den Glas- und Aluminiumbehältern vorbei in die riesige, unordentliche Lagerhalle, in der sich Berge von Pappkartons und Papier türmten und dunkle umtriebige Männer zwischen den Stapeln der Zeitungen von vorgestern herumwuselten - und diese Männer, stellte er jetzt zu seinem Erschrecken fest, sahen haargenau wie der Selbstmordkandidat von vorhin aus, bis zu den dunklen Augen und den schroffen schwarzen Balken ihrer Schnurrbärte. Sie trugen sogar die gleichen khakifarbenen Arbeitshemden und sackartigen Hosen. Er lebte jetzt beinahe zwei Jahre in Los Angeles und hatte nie recht darüber nachgedacht, aber sie waren überall, diese Männer, allgegenwärtig, und gingen ihrer Arbeit nach, ob sie nun bei McDonald's den Boden wischten, in dem Sträßchen hinter Emilios Restaurant die

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