Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
die Widmung an die italienische » Magnificenza « umgeändert in eine an den » illustrissimus rex Renatus «; und um außerdem noch möglichst gründlich die Spur zu verwischen, daß es sich um eine simple Übertragung aus einem schon gedruckten italienischen Original handelt, der Vermerk beigefügt, Vespucci habe das Werk in französischer Sprache übersandt und erst der » insignis poeta « Johannes Basinus (Jean Basin) habe es » ex gallico «, aus dem Französischen, in ein vornehmes Latein übertragen (» qua pollet elegantia latina interpretavit «). Bei näherer Betrachtung erweist sich dieser ehrgeizige Betrug als ziemlich durchsichtig, denn der » insignis poeta « hat viel zu flüchtig gearbeitet, um alle die Stellen zu verwischen, die deutlich auf die italienische Herkunft hinweisen. Er läßt Vespucci dem König Renatus in Lothringen Dinge erzählen, die allenfalls für Medici oder Soderini Geltung haben konnten, z. B., daß sie beide zusammen in Florenz bei seinem Onkel Antonio Vespucci studiert hätten. Oder er läßt ihn von Dante als » poeta nostro « sprechen, was selbstverständlich nur denkbar war, wenn ein Italiener einem Italiener schrieb. Aber es wird Jahrhunderte dauern, ehe dieser Betrug – an dem Vespucci so unschuldig ist wie an allem andern – aufgedeckt wird. Und durch Hunderte Werke (bis auf die allerneueste Zeit) betrachtet man diese vier Reiseberichte als tatsächlich an den Herzog von Lothringengerichtet; aller Ruhm und alle Schmach des Vespucci türmt sich auf das Fundament dieses einen in einem Winkel der Vogesen ohne sein Wissen gedruckten Buches.
Aber all das sind Hintergründe und Geschäftspraktiken, von denen die Zeit nichts weiß. Die Buchhändler, die Gelehrten, die Fürsten, die Kaufleute sehen nur eines Tages auf der Buchmesse am 25. April 1507 ein Werk von zweiundfünfzig Blättern erscheinen, das den Titel führt: › Cosmographiae introductio. Cum quibusdam geometriae ac astronomiae principiis ad eam rem necessariis. Insuper quatuor Americi Vespuccii navigationes. Universalis cosmographiae descriptio tam in solido quam plano eis etiam insertis quae in Ptolomeo ignota a nuperis reperta sunt ‹. (Einführung in die Kosmographie mit den dazu nötigen Grundprinzipien der Geometrie und Astronomie. Dazu die vier Reisen Amerigo Vespuccis, ferner eine Beschreibung [Karte] des Weltalls sowohl in flacher als in Globusform von all jenen Teilen, die Ptolemäus unbekannt gewesen und in jüngster Zeit entdeckt wurden.)
Wer dieses kleine Bändchen aufschlägt, muß zuerst die poetische Eitelkeit der Herausgeber über sich ergehen lassen, die ihre poetischen Talente zur Schau stellen wollen; ein kurzes lateinisches Widmungsgedicht von Matthias Ringmann an den Kaiser Maximilian und eine Vorrede von Waldseemüller-Hylacomylus an den Kaiser, dem er das Buch zu Füßen legt; erst nachdem diebeiden Humanisten ihrer lieben Eitelkeit gefrönt haben, beginnt der gelehrte Text des Ptolemäus, dem sich nach einer kurzen Ankündigung die vier Reisen des Vespucci anschließen.
Mit dieser Publikation in St-Dié ist der Name Amerigo Vespuccis wieder ein ungeheures Stück nach oben gestiegen, freilich der Gipfel noch nicht erreicht. In der italienischen Anthologie › Paesi nuovamente retrovat ‹ war sein Name noch in ziemlich zweideutiger Form als der des Entdeckers der »neuen Welt« auf dem Titelblatt gestanden und im Text seine Reisen jenen des Columbus und anderer Seefahrer noch zur Seite gestellt. In der › Cosmographiae Introductio ‹ ist der Name Columbus schon nicht mehr erwähnt – ein Zufall dies vielleicht, verschuldet durch Unkenntnis der vogesischen Humanisten, aber ein verhängnisvoller Zufall. Denn alles Licht, alles Verdienst der Entdeckung fällt dadurch breit und grell auf Vespucci, und auf Vespucci allein. Im zweiten Kapitel heißt es bei der Beschreibung der dem Ptolemäus schon bekannten Welt, daß sie zwar von andern in ihrer Ausdehnung erweitert worden, nun aber erst von Americo Vesputio wahrhaft zur Kenntnis der Menschheit gebracht ( nuper vero ab Americo Vesputio latius illustratam ). Im fünften Kapitel wird er ausdrücklich als Entdecker dieser neuen Zonen anerkannt » et maxima pars Terrae Semper incognitae nuper ab Americo Vesputio repertae «. Und plötzlich blitzt in dem siebenten Kapitel zum erstenmal jene Anregung auf, die für Jahrhunderte bestimmend werden soll. Wie Waldseemüller den vierten Teilder Erde, » quarta orbis pars «, erwähnt, fügt er
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