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Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Titel: Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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quartam orbis partem «, als vierten Weltteil öffentlich proklamiert. Und 1538 zeichnet Mercator, der König der Kartographen, in unserem Sinne den ganzen Kontinent als eine Einheit in seine Weltkarte ein und schreibt den Namen Amerika über beide Teile, A M E über den Norden und R I C A über den Süden. Und seitdem gilt kein Wort mehr als dieses. In dreißig Jahren hat Vespucci den vierten Teil der Erde für sich und seinen Nachruhm erobert.
     
    Diese Taufe ohne Wissen und Zustimmung des Vaters ist eine Episode ohnegleichen in der Geschichte des irdischen Ruhms. Mit zwei Worten, » Mundus Novus «, hat ein Mann sich berühmt, mit drei Zeilen eines kleinen Geographen sich unsterblich gemacht; kaum je hat Zufall und Irrtum eine ähnliche verwegene Komödie zustande gebracht. Aber in dieser Komödie der Irrungen ersinnt die Geschichte, die ebenso grandios in der Tragödie als erfindungsreich in ihren Lustspielen zu sein vermag, noch eine besondere, subtile Pointe. Kaum hat die Anregung Waldseemüllers die Öffentlichkeit erreicht, ist sie schon begeistert akzeptiert. Eine Auflage folgt der anderen, jedes neue geographische Werk übernimmt den neuen Namen »Amerika« nach dem seines » inventors « Amerigo Vespucci, und vor allem sind es die Kartenzeichner, die ihn gehorsam eintragen. Überall ist dieser Name Amerika zu finden, auf jedem Globus, auf jedem Stahlstich, in jedem Buch, in jedem Brief – nur auf einer einzigen Karte nicht, einer Karte, die 1513, also sechs Jahre nach jenerersten Waldseemüllers erscheint, die den Namen Amerika enthielt. Aber wer ist dieser widerspenstige Geograph, der sich unwillig gegen den neuen Namen auflehnt? Groteskerweise niemand anderer als der, der diesen Namen erfunden: Waldseemüller selbst. War ihm bange geworden wie dem Zauberlehrling in Goethes Gedicht, der mit einem Wort den dürren Besen in ein wild hintobendes Wesen verwandelt und dann das andere Wort nicht wußte, um den beschworenen Geist zum Innehalten zu bewegen? War ihm durch irgendeine Mahnung – vielleicht Vespuccis selbst – bewußt geworden, daß er Unrecht gegen Columbus getan, indem er seine Tat auf den Erkenner der Tat übertrug? Man weiß es nicht. Man wird es nie wissen, warum gerade Waldseemüller dem neuen Kontinent den von ihm erfundenen Namen Amerika wieder wegnehmen wollte. Aber schon ist es zu spät für jede Korrektur. Selten holt die Wahrheit die Legende wieder ein. Ein Wort, einmal in die Welt gesprochen, zieht aus dieser Welt Gewalt, es lebt frei und unabhängig von dem weiter, der ihm das Leben gegeben. Vergebens, daß der einzelne kleine Mann, der es zuerst gesagt, das Wort Amerika beschämt wieder unterdrücken und verschweigen will – es schwingt schon in den Lüften, es springt von Letter zu Letter, von Buch zu Buch, von Mund zu Mund, es überfliegt die Räume und die Zeiten, unaufhaltsam und unsterblich, weil zugleich Wirklichkeit und Idee.
    Der große Streit beginnt
    1512. Ein Sarg wird, von wenigen begleitet, von einer Kirche in Sevilla zum Gottesacker getragen. Es ist kein auffälliges, kein pompöses Leichenbegängnis, nicht das eines reichen Mannes, nicht das eines Edelmannes. Irgendein Beamter
    des Königs, der Piloto Mayor der Casa de Contratación, wird zur letzten Ruhe gebettet, ein gewisser Despuchy oder Vespuche. Niemand ahnt in der fremden Stadt, daß es derselbe Mann ist, dessen Name der vierte Teil der Erde tragen wird, und die Historiographen und Chronisten verzeichnen mit keinem Wort dieses belanglose Wegsterben; noch nach dreißig Jahren wird man in den Geschichtswerken lesen, Amerigo Vespucci sei 1534 auf den Azoren gestorben. Ganz unbeachtet geht der Taufpate Amerikas dahin, ebenso still wie man den Adelantado, den Großadmiral des Neuen Indien, Christophoro Colombo, 1506 in Valladolid zur letzten Ruhe senkte, ohne daß ein König, ein Duque den Sarg begleitet, und dessen Tod gleichfalls kein zeitgenössischer Geschichtsschreiber für wichtig genug hielt, um ihn der Welt zu melden.
    Zwei stille Gräber in Sevilla und Valladolid. Zwei Männer, die sich im Leben oftmals begegnetsind, ohne einer den andern zu meiden oder zu hassen. Zwei Männer, vom gleichen Geist schöpferischer Neugier beseelt, die einer dem andern redlich und herzlich auf ihrem Wege geholfen. Aber über ihren Gräbern erhebt sich der erbittertste Streit. Ohne daß sie es ahnten, wird des einen Ruhm mit dem des andern kämpfen, Irrtum, Unverstand, Forschungslust und persönliche Rechthaberei werden immer

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