Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
entschlossen, dem Handel abzusagen und sich ein höheres und ehrenvolleres Ziel zu setzen, nämlich einen Teil der Welt und seine Wunder zu sehen ( mi disposi d'andare a vedere parte del mondo e le sue maraviglie ). Dazu habe sich nun gute Gelegenheit geboten, indem der König von Castilien vier Schiffe ausgerüstet hätte, um neues Land im Westen zu entdecken, und ihm sei verstattet worden, in dieser Flotte mitzureisen, um bei der Entdeckung hilfreich mitzutun ( per aiutare a discoprire ). Aber Vespucci berichtet nicht nur von dieser ersten Reise, sondern auch von drei anderen (darunter der bereits im › Mundus Novus ‹ geschilderten); und zwar unternahm er – die Chronologie ist wichtig –:
· die erste vom 10. Mai 1497 bis 15. Oktober 1498 unter spanischer Flagge,
· die zweite vom 16. Mai 1499 bis 8. September 1500, gleichfalls für den König von Castilien,
· die dritte ( Mundus Novus ) vom 10. Mai 1501 bis 15. Oktober 1502 unter portugiesischer Flagge,
· die vierte vom 10. Mai 1503 bis 18. Juni 1504, ebenfalls für die Portugiesen.
Mit diesen vier Reisen ist der unbekannte Kaufmann in die Reihen der großen Seefahrer und Entdecker seiner Zeit getreten.
An wen diese › Lettera ‹, dieser Bericht über die vier Reisen, gesandt war, ist in der ersten Ausgabe nicht gesagt; erst in den späteren wird berichtet, sie sei an den Gonfaloniere, den Gouverneur von Florenz, Pietro Soderini, gerichtet gewesen, wofür aber – bei Vespuccis literarischen Produktionen wird sich bald manche Dunkelheit ergeben – bis zum heutigen Tage ein völlig gültiges Zeugnis fehlt. Aber mit Ausnahme einiger höflicher Floskeln des Eingangs ist die Form des Berichts ebenso locker, amüsant und abwechslungsreich wie im › Mundus Novus ‹. Nicht nur daß Vespucci noch neue Einzelheiten über das »epikureische Leben« dieser unbekannten Völker gibt, schildert er noch Kämpfe, Schiffbrüche und dramatische Episoden mit Kannibalen und Riesenschlangen; viele Tiere und Gerätschaften (wie der Hammock, die Hängematte) werden durch ihn zum erstenmal der Kulturgeschichte übermittelt. Die Geographen, die Astronomen, die Kaufleute finden wertvolle Informationen, die Gelehrten eine Reihe von Thesen, über die sie diskutieren und sich verbreiten können, und auch das große Neugierpublikum kommt reichlich auf seine Kosten. Zum Schlusse kündigt Vespucci abermals sein großes, sein eigentliches Werk über diese neuen Welten an, das er, sobald er einmal sich zur Ruhesetzen könne, in seiner Vaterstadt vollenden wolle.
Aber zu diesem Werke ist es niemals gekommen, oder es ist uns ebenso wie Vespuccis Tagebücher nicht überliefert. Zweiunddreißig Seiten (von denen die dritte Reise nur eine Variante des › Mundus Novus ‹ darstellt) stellen somit das ganze literarische Werk Amerigo Vespuccis dar, ein winziges und nicht sehr gewichtiges Gepäck für den Weg in die Unsterblichkeit. Man darf also ohne Übertreibung sagen: nie ist ein schreibender Mensch mit so geringem überliefertem Werk so berühmt geworden; Zufall über Zufall, Irrtum über Irrtum mußte sich türmen, um es derart hoch über seine Zeit zu stellen, daß selbst die unsere diesen Namen sich merken muß, der mit dem Sternenbanner sich bis unter die Sterne schwingt.
Der erste Zufall und zugleich schon der erste Irrtum kommt bald diesen im höheren Sinne belanglosen zweiunddreißig Seiten zu Hilfe. Ein findiger italienischer Buchdrucker hatte schon 1504 den richtigen Flair gehabt, daß die Zeit für Sammlungen von Reiseberichten günstig sei. Zum erstenmal faßt der Venezianer Albertino Vercellese alle Reiseberichte, die ihm zur Hand kommen, in einem Bändchen zusammen. Dieses › Libretto de tutta la navigazione del Rè de Spagna e terreni novamente trovati ‹, das die Reiseberichte über Cadamosto, Vasco da Gama, die erste Columbusfahrt zusammenstellt, hat so guten Absatz, daß ein Drucker in Vicenza 1507 sich entschließt, eine größere( 126 Seiten umfassende) Anthologie herauszugeben (unter Leitung von Zorzi und Montalbodo), die die portugiesischen Expeditionen des Cadamosto, Vasco da Gama, Cabrai, die ersten drei Reisen des Columbus und den › Mundus Novus ‹ Vespuccis enthält. Verhängnisvollerweise findet er dafür keinen besseren Titel als › Mondo novo e paesi nuovamente retrovati da Alberico Vesputio florentino ‹ (›Neue Welt und neugefundene Länder von Alberico Vespucci aus Florenz‹). Damit beginnt nun die große Komödie der Irrungen. Denn
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